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Fakten zur Aufführung 

ANDROMAQUE
André-Ernest-Modeste Grétry
27. April 2010
(Premiere: 23. April)

Schwetzinger Festspiele

Points of Honor                      

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Gesang

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Denn sie wissen nicht, was sie tun

Verstörende Figuren. Geblendet von Liebe und Selbsthass, Leidenschaft und Wahn, irren sie in einer Beziehungswelt umher, aus der es keinen Ausweg gibt. Ein Drama voller Absurditäten und Realität, in dem Zorn, Hass, Intrige und wütende Eifersucht über die Vernunft triumphieren. Da stellt sich der Komponist André-Ernest-Modeste Grétry entschieden gegen den damaligen Zeitgeist, als die Boten der Aufklärung doch Erhellung des menschlichen Verhaltens signalisieren wollten.

Aber Grétry, dessen 1780 uraufgeführte und seither zumindest nicht nachweisbar gespielte lyrische Tragödie Andromaque die Schwetzinger Festspiele jetzt gemeinschaftlich mit Montpellier, Luzern und Nürnberg ausgruben, argumentiert anders. In seinem Vierpersonenstück zeigt er, und dadurch ganz modern, auf pseudo-antiker Folie die extremen Kommunikationsstörungen und narzisstischen Haltungen, denen Menschen in ihrem Wankelmut ausgesetzt sind. Da scheint es folgerichtig, dass Jean-Pierre Vergier ein zeitlos-abstraktes Bild herstellt, eine Art aufgeschnittener Turm in Silbergrau, dessen schräg gestellte Optik die Entgleisung „normaler“ Maßstäbe signalisiert. Rote oder blaue Öffnungen lassen den stummen Chor (das Vokalensemble Stuttgart des SWR argumentiert großartig aus dem Graben heraus!) die Handlung - eher eine Nicht-Handlung - illustrieren, aber auch konterkarieren. Mit dem Bühnenbild kann man sich anfreunden, wäre da nicht die alberne Versinnbildlichung, wie Hector auf dem Sarkophag, der auch als Récamière für die Damen der Handlung dient, per Gebläse atomisiert wird. Höchst komisch, unfreiwillig.

Denn Andromaque, Hectors Witwe, und ihre Gegenspielerin Hermione, sowie die Herren der Grétry-Racine-Schöpfung, nämlich Sieger Pyrrhus und der unglückselig getriebene Orest, verstricken sich in gegenseitigen Überkreuz-Leidenschaften, wo Pyrrhus zum Sklaven seiner Sklavin Andromaque wird, die wiederum nur ihr Büblein vor der wütenden Rache der Griechen retten will, während Hermione so „verrückt“ nach Pyrrhus ist, dass sie den in sie verknallten Orest zum Meuchelmord an Pyrrhus anstiftet, weil der einige Blicke auf die trauernde Hector-Witwe geworfen hat. Hinterher will sie es nicht gewesen sein, und Orest verfällt dem Wahn. Verworren und doch ganz einfach. Leidenschaft verrückt die Maßstäbe.

Da ist also gefühlsmäßig schon einiges los, während Regisseur Georges Lavaudant seine Figuren in einer gewissen Unentschlossenheit halb statisch auf die Bühne stellt. Unterstützt von Kostümen, die an klassizistische Griechenland-Bilder erinnern, einfach, streng, schön. Und dunkel. Im Gegensatz dazu treibt Dirigent Hervé Niquet sein historisch informiertes, nicht immer lupenrein aufspielendes Instrumentalensemble zu wuchtigen Akzenten und heftigen Ausbrüchen. Die Protagonisten auf dem Spielfeld des Rokokotheaters Schwetzingen singen gut bis ausgezeichnet, mit deutlichen Vorteilen für die Frauen. Der junge französische Tenor Sébastien Guèze hat als Pyrrhus sehr schöne lyrische Mittellagen zu bieten, wirkt aber in emotionalen Ausbrüchen etwas angestrengt. Tassis Christoyannis verfügt über einen vom Material her prächtigen Bariton, setzt ihn aber in der finalen Wahn-Szene zu forciert ein. Der Mezzo von Maria-Riccarda Wesseling scheint ideal für die Spannweite der Gefühlsäußerungen dieser Hermione, und Judith van Wanroij lässt, bezaubernd im schlichen Schwarz, eine liebend-trauernde Witwe in fein gewirkten Registern aufleuchten.

Leicht unglücklich wirkt die Übertitelung in fast wörtlicher Übersetzung. Sie trägt nicht zur Erhellung bei. Was wiederum in diesem dunklen Spiel deshalb nicht nötig ist, weil es sich trotz einiger Einwände von selbst erzählt: Denn sie wissen nicht, was sie tun!

Eckhard Britsch