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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
15. September 2007


Saarländisches Staatstheater Saarbrücken

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Im Westen Neues durch nichts Neues


Wer Regietheater nicht mag, sollte die Traviata am Staatstheater Saarbrücken goutieren. Hier wird er garantiert nicht mit aufregenden oder verstörenden Regieeinfällen belästigt. Wahrscheinlich musste es die Inszenierung einer Frau sein, die aus dem Fach Schauspiel kommt, um den Mut aufzubringen, auf jeden Anstoß zum Transfer, jede auch nur angedeutete Aktualisierung, jeden gravierenden dramaturgischen Eingriff zu verzichten. Wobei die Courage relativiert wird, wenn es sich wie in unserm Fall um die Chefin des Hauses handelt, Generalintendantin Dagmar Schlingmann mit ihrer ersten Operninszenierung.

Oper ohne Regie, das kann man machen. Entweder, wenn man dazu die entsprechenden Stimmen hat, auf die sich nun zwangsläufig alle Konzentration richtet. Vorausgesetzt, die Personenführung stimmt. Gleich vorweg: Drei große Stimmen braucht diese Oper, zwei hat sie in der Tat. Oder wenn eine noch so subtil oder subkutan eingebrachte Botschaft vorgetragen werden soll, der sich alles andere unterzuordnen hat. Sonst bliebe der fade Nachgeschmack, Oper wie vor 1980 oder im ausgepowerten europäischen Osten von Heute erlebt zu haben.

Der Schlüssel zum Verständnis liegt vielleicht in der Interpretation des Doktor Grenvil (Hiroshi Matsui gebührt das Attribut beste Nebenrollenbesetzung des Abends). Wie später noch mehrmals, sitzt er während der Ouvertüre stumm vor dem Bühnen verhüllenden Tüll auf der Orchestergrabenkante. Teiresias, Memento mori und Reminiszenz an die griechische Tragödie. Dagmar Schlingmann gelingt es tatsächlich, aus der altgriechischen Perspektive Violetta zur sanften Heroine, zur Männer erlösenden Demeter, zur matriarchalischen Erlösungscodierung für die verrohte patriarchalische Gesellschaft zu stilisieren. Und das alles durch den zugelassenen Duktus der Oper. Das anrührende Bild schlechthin: Alfredo, wie er, Schutz, Trost, Vergebung und Weisung suchend, seinen Kopf gegen den Schoß von Violetta presst. Und so drängt sich die Vermutung auf, dass die stimmlich hervorragende, expressive, koloratursichere Alexandra Lubchanski nicht deshalb alle anderen Protagonisten an die Wand spielt, weil sie als einzige über darstellerische Qualitäten verfügte, sondern weil die Regie sie als einzige frei gibt und als nur akzidentiell Beschädigte identisch sein lässt. Der substantiell Defizitäre, das ist der Mann. Der Gehemmte, das ist der Draufgänger und –lieger.

Die zweite große Stimme und ein Mann mit verheißungsvoller Zukunft: Mikael Babajanyan als Giorgio Germont. Der Armenier verfügt über einen Belcanto, das ihm alle Bühnenräume eröffnen wird.

Personenführung: Jevgeneij Taruntsov singt im ersten Akt den Alfredo Germont wie von back stage, als müsse seine Stimme erst einmal einen Schalldämpfer durchdringen. Dass das viel besser geht, haben die nächsten beiden Akte bewiesen. Seine schöne Stimme hat alle Anlagen. Vielleicht kam der Alfredo noch ein, zwei Jahre zu früh. Zumindest in diesem alles auf die drei Hauptrollen fokussierenden Konzept.

Das Orchester überzeugt. Constantin Drinks führt mit einem konzentrierten Dirigat das Saarländische Staatsorchester souverän durch den Abend. Mit Mut zum Forte, wenn es dem manchmal Sänger unfreundlichen Verdi so gefällt.

Der Chor (einstudiert von Pablo Assante) singt vorzüglich. Der Verdinglichung und dem Fetischcharakter der Ware Liebe entspricht Dagmar Schlingmann mit Liebesdienerinnen kommerzieller wie weltanschaulicher Art, die die erotische Ausstrahlung einer Lottoziehung haben. Entsprechend die gewollt lusttötenden, biederen Kostüme für die Chordamen, für die Inge Medert verantwortlich zeichnet.

Bühnenbild ist immer ein wenig wie Formel 1. Du wartest gespannt, ob eine Einstopp, Zweistopp oder Mehrstoppstrategie gefahren wird. Saarbrücken fuhr mit einem Satz Reifen durch. Das birgt nicht unerhebliche Ermüdungsrisiken. Das Einheitsbühnenbild selbst (verantwortlich Sabine Mader) eine Hommage an die Traviata, die vom Weg Abgekommene. Eine straßenähnliche obere Ebene mit Beuge in Richtung Unbekannt, die an ihrem unteren breiten Ende in eine ebenso breite Sitzbank übergeht. Die Veränderungen bestehen in der unterschiedlichen Weltwahrnehmung, geschickt durch ein Breitbandfenster umgesetzt.

Das saarländische Publikum ist längst nicht so provinziell, wie es der anheimelnde Theaterbau vermuten lassen könnte. Seit jeher Europäer, reist man munter durch die Opernlande und bringt ein gerütteltes Maß an Erfahrung und Sachverstand mit zurück. Teilweise standing ovations, vereinzelte Buhrufe, als die Drei Mädel von der think tank-Stelle sich samt Ensemble dem lange anhaltenden Applaus stellten.

Frank Herkommer

 

 


Fotos: Björn Hickmann