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Fakten zur Aufführung 

DER ERSTE KAISER
(Tan Dun)
6. September 2008 (Premiere)

Staatstheater Saarbrücken


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Wenn Wasser schwerer ist als Sand

Mit einem Paukenschlag eröffnete das Staatstheater Saarbrücken die Spielzeit 2008/09: Erstmals gestattete die Metropolitan Opera in New York eine Inszenierung der Oper Der erste Kaiser von Tan Dun in Europa. Den sensationellen Deal eingefädelt hatte Operndirektor Berthold Schneider. Wenn der Satz von der Völker verbindenden Kraft der Kultur je seine Berechtigung hatte, dann bei dieser Produktion. Sie hat die Potenz, das Chinabild einer ganzen Generation nachhaltig zu verändern, zu vertiefen und zu erweitern.

Denis Krief führt meisterhaft Regie, die nahe am Libretto bleibt, die von tiefem Respekt getragen ist gegenüber der chinesischen Geschichte, deren Traditionen und ihrer Kultur. Eine Kultur, die sich als synthesefähig mit der Moderne erweist und damit als stabil und nachhaltig, als dialogfähig und -bereit mit der westlichen Kultur. Tan Dun ihr Mediator. Ton wird zum Singen gebracht, Keramikinstrumente, die an überdimensionale Übertöpfe erinnern. Synthesizer ähnliche Töne hallen nach, aus Jahrtausende alten Instrumenten. Das Publikum wird mit der Kunstfigur eines Yin-Yang-Master bekannt gemacht, an der Gesichtsbemalung mit den vertrauten Schwarz-Weiß-Symbolen leicht zu erkennen, gespielt von Xiquan Jin, ein Megastar in China und damit verehrt von einem Milliardenpublikum. Das Fremde, das er aus der Pekingoper einbringt, ruft keine xenophoben Abwehrreflexe hervor, sondern eine neugierige Erwartungshaltung und Vorfreude auf einen unser Bewusstsein erweiternden Austausch mit dieser alten fernöstlichen Kultur. Indem sich bei ihm nicht alles aufs erste Sehen und Hören erschließt, kommt eine Ahnung auf von der Vielschichtigkeit, Mehrdimensionalität und Kryptik, die dem wahren Leben eignet. Ein wohltuender Kontrast zur bloßen Ablenkungskultur.

China könnte der Welt das Staunen und den Glauben an Geheimnisse zurück geben. Wer die Geschichte um den Gründer der Chin-Dynastie verfolgt, keine andere Dynastie der Weltgeschichte wird so lange Bestand haben, der Erbauer der Chinesischen Mauer, der Herr der Terrakottasoldaten, bekommt einen Einblick in die chinesische Seele. Das Kontinuum der Geschichte besteht in jener unvorstellbaren Leidensfähigkeit und Opferbereitschaft des Volkes, die der Chor ausspricht: „Wann wird unser Leiden enden? Wenn Wasser schwerer ist als Sand.“ Wenn Chin nach einer Hymne für das geeinte China sucht, gibt er der Einsicht Ausdruck, dass ein Volk sich über eine gemeinsame kulturelle Identität stiftet. Walter Benjamins Diktum, Macht bestehe in der Fähigkeit, seiner Rechtssetzung Geltung zu verschaffen, ist zu erweitern um die Beobachtung, dass kulturelle Hegemonie heute Kriege ersetzt und Einflusssphären schafft.

Die Jahrhunderte lange Abschottungspolitik Chinas wird aus dieser Perspektive nachvollziehbarer. Man bekommt eine Ahnung von der Schwierigkeit des Dialogs zwischen Macht und Kultur, wenn sich der für die Hymne angefragte Komponist Jian Li lieber die Zunge abbeißt, als Kompromisse mit der Inkarnation der Macht zu schließen. Und auch in China weiß man, dass die Liebe der Königsweg ist, wie die Geschichte zwischen der Kaisertochter Yue Yang und Jian Li belegt. Denis Krief arbeitet mit Farbsymbolik und Licht. Ibsenartige Gespenster tauchen aus dem Totenreich auf, mit fahlem Weiß der Wangen. Wohin das Licht der Aufmerksamkeit fällt, sagt eben noch lange nicht aus, wo die wahre Geschichte sich gerade zuträgt. Die Lichtwechsel zeigen dies eindrücklich. Er erzählt die Geschichte der Großen Mauer aus der Perspektive der Sklaven, von unten. Indem er sie als einsehbares und begehbares Geflecht entwirft, nimmt er das Bauwerk aus der Touristenperspektive heraus, gibt ihr dialektische Offenheit. Die Mauer in uns. Ein Tanzpaar, das ganze Völkerschlachten symbolisieren darf, womit Krief vermeidet, dass diese große Choroper (meisterlich einstudiert von Pablo Assante) in Ausstattungsoper mit Monumentalkitsch entgleitet (Choreographie: Helge Letonja). Ein Sandkasten für die entscheidenden Wendepunkte, der die Historie aus dem Staub entnimmt, in Bewegung versetzt. Bänder, die blutrot an Gekröse Selbstentleibter erinnern, wobei der Regisseur auf plumpe Blutbäder verzichtet.

Die Musik von Tan Dun für den west-östlichen Diwan. Tonal, mal ganz nahe an Filmmusik, dann wieder Gershwin, mit eingesprenkelten chinesischen Motiven. In dieser Synthese könnte die Achse des Guten liegen.

Constantin Trinks und das Saarländische Staatsorchester zeigen sich der Herausforderung absolut gewachsen. Leichtigkeit, die nie ins Seichte abgleitet. Melodramatik, die auf die leisen Töne setzt. Ohne das Pathos historisierender Ansätze. Der Integration des Disparaten verpflichtet.

Die Protagonisten Ausdruck des interkulturellen Dialogs. Jevgenij Taruntsov ein beeindruckender, differenzierter Chin. Er lässt spüren, warum dieser Herrscher eigentlich in eine Ahnenreihe mit einem Alexander, Cäsar oder Napoleon gehörte. Seine wohltuende Stimme präsent und ausdrucksstark. Yue Yang anrührend und ergreifend gespielt und gesungen von Alexandra Lubchanski. Hiroshi Matushi Idealbesetzung für General Wang. Seine große, voluminöse und klare Stimme kann das Militärische glaubhaft zum Ausdruck bringen, seine hohe Spielkunst der Figur die Zerbrechlichkeit verleihen. Gao Jian Li findet in Dong Won Kim einen tief beeindruckenden, europäischen Hörgewohnheiten absolut entsprechenden Darsteller. Yanyu Guo spielt überzeugend die Schamanin, Olafur Sigurdson einen ebenso stimmgewaltigen wie servilen Chief Minister. In den weiteren Rollen: Maria Pawlus ebenso souverän als Mutter von Yue-Yang wie Markus Jaursch in der Rolle des Wächters. Vom Publikum stürmisch gefeiert Xiquan Jin als Yin-Yang Master. Silvia Juliana Ospina und Norbert Pape tanzen, fechten und kämpfen überaus sehenswert.

Unter den tief beeindruckten Gästen viel Prominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Intendantin Dagmar Schlingmann konnte den Generalkonsul und viele weitere Angehörige der chinesischen Gemeinde in Deutschland begrüßen. Großer und begeisterter Schlussapplaus. Vielleicht kommt diese Inszenierung ja in China zur Aufführung. Verdient hätte es der Saarbrücker Erste Kaiser. Zu wünschen wäre es auch, nicht zuletzt für die Deutsch-Chinesische Freundschaft und den interkulturellen Dialog.

Frank Herkommer

 






Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Picture