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Fakten zur Aufführung 

EIS UND STAHL
(Wladimir Deschewow)
8. Dezember 2007 (Derniere)
(Premiere: 27. Oktober 2007)

Saarländisches Staatstheater Saarbrücken


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Furor, Pathos und Demontage der Revolution

Wladimir Deschewow ist einer der vergessenen Avantgardisten der russischen Kulturrevolution. Seine Heroisierung der Oktoberrevolution wird in Saarbrücken „ausgegraben“, gerät zu einem Triumph emotionalisierender Musik à la Schostakowitsch und der Filmmusiken Prokofiews – und ist den inszenatorischen Vorstellungen Tretjakows und seines Operationalismus’ verpflichtet.

Will Humburg gelingt es, mit großem Engagement das Saarländische Staatsorchester auf die harten Rhythmen mit intensivstem, höchst differenziertem Bläser- und Schlagwerkeinsatz einzuschwören, Geräusche wie Sirenen-Signale, Schreie, Pfiffe und Flüstern zu integrieren. Revolutionäre Obsessionen werden intensiv verstärkt, das Klassenpathos findet adäquaten Klang, Crescendi werden zu dramatischen Highlights, und das fading out am Schluss gerät zum perfekten Extremfall orchestraler Reduktion. Will Humburg kontrastiert die chromatischen Klänge mit den frei changierenden „neuen“ Tönen – verweist damit hochreflektiert auf den Dissens von „moderner“ Musik und „formalistischen“ Experimenten -- eine musik-historische Großtat mit hinreißender Wirkung!

Dem pfiffigen jungen Regisseur Immo Karaman stellen sich bei der Geschichte um die Widerstände der Kronstädter Matrosen gegen die autoritären Bolschewiki anno 1921 zwei Probleme: Zum einen, revolutionäres Handeln in seinen kontrovers-komplexen Abläufen in überzeugendes Bühnenhandeln umzusetzen. Das gelingt im Wechsel individueller Aktionen und choreografierter kollektiver Massenszenen sehr eindrucksvoll. Doch fehlt es beim Problem 2 an historischem Einfühlungsvermögen sowohl für die komplexe Situation der Oktoberrevolution, da vermischen sich anachronistische Bilder der Mao-Ästhetik mit allzu braven Demutsbezeugungen zur aktuellen political correctness: Sozialismus ist „out“ und darf offenbar in seinem humanen Engagement im Zusammenhang mit der Oktoberrevolution nur als gescheitert demonstriert werden – ein bisschen schlicht, ohne historische Differenzierung.

Johann Jörg baut eine schräge Rampe, installiert ein martialisches Stahlgerüst mit Gitterstufen, schafft damit kommunikative Voraussetzungen für das dramatische Geschehen und verstärkt die Eindrücke durch effektvollen Lichteinsatz.

Sechzig Rollen sind zu besetzen – das gesamte Ensemble brilliert mit exaltiertem Singen, liefert erregende Rollenporträts und fügt sich in das artifiziell-stringente Konzept. Jevgenij Taruntsov gibt dem Anarchisten Dymtschenko provozierenden Charakter mit subtil-ausdrucksstarker Stimme. Oxana Arkaeva verleiht der übergelaufenen Natalia brutale Statur, stimmlich sehr differenziert. Als „Heldin“ Musja ist mit Anna Toneeva eine Sängerdarstellerin der Extraklasse zu erleben – perfekt in den fulminanten Herausforderungen, dramatisch in den exaltierten Höhen, ausdrucksvoll in der Mittellage. Hiroshi Matsui überzeugt als „roter“ Anführer Hertz sowie Vadim Volkov als General Besobrasov beeindrucken mit kernigen Stimmen.

Die Derniere wird live von Sendern der European Broadcasting Union übertragen. Das Saarländische Staatstheater erlebt einen großen Erfolg seiner exzeptionellen Anstrengung. Das Publikum folgt hoch konzentriert, feiert die Aufführung mit heftigem Applaus – und akzeptiert die Erinnerung an die 90 Jahre zurückliegende Oktoberrevolution. (frs)

 




Fotos: Bettina Stöß/Björn Hickmann