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Fakten zur Aufführung 

JEKYLL AND HYDE
(Frank Wildhorn)
5. März 2008
(Premiere: 15. Dezember 2007)

Staatstheater Saarbrücken


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Leben nach Maß

Der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt das Herz eines jeden Menschen, konstatiert voller Demut Alexander Solschenizyn in seinem „Archipel Gulag“, selbst geschundenes Opfer einer anmaßenden dualistischen Ideologie, welche die Grenzen zwischen Gut und Böse entlang der Klassenzugehörigkeit gezogen sehen will. Wenn Goethes Faust mit den zwei Seelen in seiner Brust ringt, weist er auf die alternative Möglichkeit intelligibler und sinnlicher Weltaneignung und damit Sinnsetzung hin. Jekyll & Hyde, dieser One-man-Wiedergänger der parsistischen Zwillingsgeister Zarathustras, steht für die Zurückführung alle innerseelischen Vorgänge auf die Alternative von Gut und Böse.

Damit beginnen die Fragen erst, mit denen sich Bernhard Stengele in seiner vorzüglichen Saarbrücker Inszenierung auseinandersetzt. Erasmus und Luther - wie frei ist der menschliche Wille? Stengele verfolgt die verschiedenen, von Textdichter Leslie Bricusse angelegten Stränge der Thematik in unterschiedlicher Intensität. Lisa, die Heilige, und Lucy, die Hure, werden als weibliches Pendant Jekyll & Hydes erkennbar, wobei nicht nur die Namensalliteration darauf hindeutet, dass es sich um Abspaltungen ein und derselben, in diesem Fall weiblichen Person handelt. Er eskamotiert nicht die Problematik, wenn die durch ein Trauma freigelegte triebstrukturelle Lust am Morden und an der Befriedigung des niedrigen Instinktes der Rachsucht als notorisch unheilbar eingestuft wird und damit der möglichen Rechtfertigung der Todesstrafe Vorschub leistet. Stengele ideologisiert ebenso wenig wie er die Geschichte willkürlich umschriebe, um sie zu entideologisieren.

Die ausgezeichnete Regieleistung besteht in der Verweigerung jeglicher Monothematisierung, Moralisierung und belehrender Engführung im Sinne eindimensionaler Antworten. Die Welt wird in einen düsteren Hörsaal verwandelt, eine ewige Lehr- und Forschungsanstalt, mit Kühlfach für zu entsorgende Leichen. Die Anmaßung, ein Leben nach Maß schaffen zu wollen als permanente Bedrohung, als entropischer Prozess. Gentechnologie und Mengele, sexuelle Varianten und wie sie moralisch zu werten sind, Sadomasochismus und (klerikale) Päderastie, Prostitution, alle Fragen werden gestellt, keine Antworten aufgezwungen.

Das sehenswerte Bühnenbild von Stephan Prattes ermöglicht Vieldimensionalität, enormes Tempo und beschreibt in ihrer Nüchternheit das Grundanliegen der Regie. Blut als Geburtsstätte des modernen Homunculus, als Symbol bewahrten Lebens ebenso wie aller latenten mörderischen Möglichkeiten großflächig abgebildet, gehört zu den nachhaltigen Bildern dieses Abends.

Angela C. Schuett entwarf die vielfältigen Kostüme zwischen Demimonde und viktorianischer Prüderie mit großer Fantasie und Liebe zum Detail.

Drei Namen, warum niemand die Saarbrücker Inszenierung verpassen sollte: Eine unglaublich erotische, erst verruchte, dann verliebte, anfangs selbstsichere, dann zögernde, ihr Opfer ahnende und letztlich bejahende, rockig und stimmgewaltig, ungemein spielfreudig Sanni Luis in der Rolle der Lucy. Eine konterkarierende Lisa, ihrer Fraulichkeit anfangs unsicher, das Glück der Sinnlichkeit vorahnend, charmant und genauso sexy, mit ihrer wunderschönen, weiten und kultivierten Stimme, die in den Höhen geradezu Verzückung auslöst: Bettina Mönch. Und der überragende Mischa Mang in der Titelrolle. Wie er von einer Sekunde auf die andere die Stimme neu färbt, welchen Regenbogen an Gefühlsfarben er einbringt, wie er mit der Körpersprache ohne Worte anzeigt, wer gerade „in“ ihm die Oberhand hat, das ist eine grandiose Leistung, der eine differenzierte, klangschöne Stimme entspricht, der man zwischen Rock und Oper alles zutraut. Und die über eine unerschöpflich scheinende Kondition verfügt.

In den weiteren Rollen: Sebastian Welker (Utterson), Guido Baehr (Carew), Algirdas Drevinskas (Stride), Maria Pawlus (Beaconsfield), Harald Häusle (Bischof), Markus Jaursch (Glossop), Antoniy Ganev (Proops), Johannes Bisenius (Savage) und Frank Kleber als Albert/Mike.

Wohl dem, der des Französischen mächtig ist. Im Saarbrücker Staatstheater läuft nämlich als Kopfzeile der Text in der Sprache des einen Spauz weit entfernten Nachbarlandes mit. Das half allen Frankophonen über manche Unverständlichkeit auf der Bühne hinweg.

Die Musik: Das Saarländische Staatsorchester unter Leitung von Martin Straubel spielt mit Seele. Einfühlsam und gefühlsbetont, dann wieder mit Verve, Pep und großem Elan. Gekonnte Tempiwechsel und Stimmungsumschwünge.

Das Publikum: an einem Mittwoch Abend war das Haus zu 90% besucht, erfreulich jung, begeistert und mit tadellosem Benimm. Die Pause zwischen den Akten war allen zu lang. Aber langweilig war's niemandem. Im Saarland wächst eine zu Hoffnungen ermutigende Generation junger Theaterbesucher heran.

Frank Herkommer

 






 Fotos: Björn Hickmann