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Fakten zur Aufführung 

AGRIPPINA
(Georg Friedrich Händel)
24. Februar 2008 (Premiere)

Saarländisches Staatstheater
Saarbrücken


Points of Honor                      

Musik

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Königliches Vergnügen

Wie man einen düsteren Plot voller Intrigen, Kabale und Ranküne anreichert zu einer hinreißenden komödiantischen Schau in das Innenleben der Royals, eine Barockoper zu einer unglaublich spannenden Angelegenheit macht, bei der keine Sekunde Langeweile aufkommt und dem Hörer sich der Variantenreichtum barocker Musik spielerisch erschließt, das zeigt Peter Lund mit seiner umjubelten Agrippina-Inszenierung am Saarländischen Staatstheater. Verliebt ins Detail, mit konzentrierter Personenführung, überbordender Fantasie und Kreativität zündet der Berliner ein strahlendes Händelsches Feuerwerk. Es gelingt ihm, bei allen Mitwirkenden eine überschäumende Spielfreude zu entfesseln, die jeden Zuschauer unwiderstehlich in den Bann schlägt.

Lund weiß das Publikum mit einzubeziehen, ohne die Grenze zum aufgesetzten Klamauk auch nur zu streifen. Wenn Nerone sich als ungeübter Mildtäter tastend unters (Theater-)Volk mischt und selbst der vorzügliche Dirigent ihm aus der Hand (fr)isst, zeigt sich hinter aller Situationskomik der unüberbrückbare mentale Unterschied zwischen Habenden und Habenichtsen. Wenn aber Poppea aus der kalten Machtzentrale nach unten steigt, um ihre tiefe Verletzung zu klagen, den Orchestergraben wie zuvor Nerone mittels einer Rampe überquert, die zerknüllten Liebesbriefe ins Publikum schleudert, dann wird eine andere Botschaft überbracht: In den existentiellen Erfahrungen, dem Leiden, der Leidenschaft und der schlummernden wie virulenten rach- und machtsüchtigen Niedertracht besonders, sind sich alle gleich, die da oben, wir da unten.

Peter Lunds und Christoph Gaisers (Dramaturgie) Royals sind zeitlos. Weil Oben und Unten die unaufhebbaren, bleibenden Einteilungen sind. Agrippina mit ihrer knallroten Hochfrisur irgendwo zwischen Elizabeth Tudor und Marge Simpson. Claudio ginge gut und gerne als Samurai durch. Narciso hätte dem Sonnenkönig Modell gestanden haben können. Und der gute Lesbo gereicht Marty Feldmans sich anheischig machendem Igor zur Ehre. Alle Kostüme eine Augenweide und ein Denkanstoß, etwa, wenn Poppea mit nur einer angedeuteten Schleppenhälfte ausgestattet wird.

Claudia Doderer (Bühne und Kostüme) zeigt sich als würdige Schülerin Achim Freyers. Alles hoch durchdacht, durchkonzipiert und ästhetisch vom Feinsten. Stilisierungen bei den stummen Rollen per Masken. Räume, die eng werden können und wenn die Situation es gegen Ende ergibt, plötzlich wieder eine Offenheit grundsätzlicher Natur zeigen. Verbindungen und Abstufungen. Stellwände, die zeigen, dass das Leben nicht geschlossen ist und sich nicht alles dem ersten Blick erschließt. Spiegelboudoirs und Botticelli-Muschel, Lichtmetaphorik und Farbsymbolik. Der kalte silberne Raum, der letztlich wieder zur Heimat wird, nach vorläufiger Auflösung der Konflikte, in warmem, chthonischen Braun.

Konrad Junghänel bietet dem Premierenpublikum eine Händel-Interpretation vom Feinsten, führt dabei das Saarländische Staatsorchester zu einer beeindruckenden, farbigen und seelenvollen Illustrierung unterschiedlichster Gemütslagen.

Hiroshi Matusi in der Rolle des altersrolligen Claudio mit seinem mächtigen, intonationsgenauen Bass ebenso beeindruckend wie Susanne Geb als stimmlich variantenreiche, in den lyrischen Passagen besonders ergreifende Belcanto-Agrippina. Zwei Countertenöre, die absolut überzeugen: David Cordier als Ottone im Muskelshirt, mit wunderschöner Klangfärbung und Steve Wächter, als geckenhafter Narciso, der spielerisch leicht die unglaublichen Höhen intoniert. Judith Braun gibt dem Nerone mit ihrer anmutigen, samtweichen, unverwechselbaren Stimme Glanz. Elizabeth Wiles als hoch erotische Poppea so stimmschön, so emotional differenziert gefärbt, Zorn und Trauer, Triumph und List, Erotik und Koketterie, dass man geneigt ist, die Oper in Agrippina und Poppea umzubenennen. Beeindruckend auch die Leistung von Patrick Simper als Pallante, der mit hoher Stimmkultur sich nahtlos einreiht in das ansprechende Niveau des Ensembles. Last not least komplementiert Guido Baehr den Reigen der Protagonisten als urkomischer Lesbo mit ansprechendem kultiviertem Bass.

Das Publikum zeigt sich begeistert. Standing ovations, die selbst im anheimeligen Saarland schon lange nicht mehr selbstverständlich sind. Kultusministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mitten dabei, zeigt sich sehr angetan von der Inszenierung und lässt sich die gute Laune nicht einmal durch die drohende Regierungsbeteiligung der Grünen in Hamburg verderben.

Frank Herkommer

 








Fotos: Thomas M. Jauk