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Fakten zur Aufführung 

DER PATIENT
(Thomas Bartel)
15. April 2005 (Uraufführung)

Theater Regensburg
(Theater am Haidplatz)

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Magnificat

Unser Denken, wonach neue Musik beurteilt werden soll, ist im 19. Jahrhundert eingefroren. Immer noch treibt uns als Kriterium die Neuheit an, suchen wir nach dem, was folgerichtig auf das Letzte kommen muss, nämlich das einzig Nächste. Die 2. Wiener Schule und ihre Nachfolger bis heute haben Glück, dass sie von Adorno und Co. auf dieser teleologischen Linie als das einzig Nächste festgezurrt wurden. Dass die 12-Tönigkeit zu ihrer Zeit auch nur eine Option war, wurde vergessen. Für viele Komponisten ist auf dieser Einbahnstraße kein Platz. Ernst Krenek ist so ein herausragender Fall. Er war musikalisch ein Tausendsassa, Jazz, Tanz, 12-töniges, Arie und Parlandostil, alles und damit viel zu viel vermeintlich Zielloses findet sich in seiner Musik.

Wollte man Thomas Bartels Kammeroper „Der Patient“, die im Theater am Haidplatz in Regensburg seine Uraufführung erlebte, auf dieser Bahn unterbringen, man täte sich schwer. Denn ihre Neuheit ist sicher in Zweifel zu ziehen. Aus der Fallstudie des amerikanischen Neurologen Oliver Sacks (Libretto: Paula Köhler), der Martin, das wandelnde Musiklexikon zum Thema hat, ist eine konventionelle Oper geworden. Eine mit Gesang, eine mit 13 normalen Orchesterinstrumenten, eine auf einer Guckkastenbühne, eine mit teilweise sogar bezaubernder Musik. Soll man sie deshalb als gestrig abtun? Nur weil sie häufig über Ernst Krenek nicht hinauskommt? Vielleicht wäre ihre Bühnenwirksamkeit ein besseres Argument oder die Qualität und der Reiz der Personen, die Schönheit der Musik?! Da hat Bartel bessere Chancen, denn der Einakter funktioniert.

Martin, der seit einer Meningitis irreparable Verhaltensauffälligkeiten an den Tag legt, verbirgt in seinem Inneren ein sensibles musikalisches Empfinden. Vor allem Bach hat es ihm angetan, weil er damit Erinnerungen an seinen geliebten Vater verbindet. So erlebt die Oper ihr Finale als vielstimmiges, fugenähnliches Magnificat, nachdem sich der Arzt endlich als fähig erwies, Martins Wunsch nach Musik zu verstehen.

Die Konzentration von Musik und Regie liegt auf Martin, der mit dem Bariton Jin-Ho Yoo mit einem grandiosen Sänger-Darsteller besetzt ist. Sein Mitgehen mit der leidenden Figur schließt sogar heftigste Schweißausbrüche ein. Für die Entfaltung weiterer schillernder Personen lassen die Eineinviertelstunden keinen Raum. Der Pfleger von Martin-Jan Nijhof, dem Bartel eine kindlich kuriose, ruppige Musik verpasst, bleibt eindimensional barsch, der Arzt von Markus Georg Herzog steif und kühl. Die Auftritte von Martins inneren Stimmen erinnern extrem an Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“. Den vier Damen schreibt Bartel wirklichen Schöngesang, mal elysisch fern, mal aufreizend irdisch.

Die Regie von Aurelia Eggers bezieht ihre Wirkung aus dem Spiel von Jin-Ho Yoo und aus dem fantastischen Bühnenbild von Sascha Gratza. Die hat es mit einem sich nach hinten perspektivisch schnell verengenden, kühl blauen Raum geschafft, nicht nur das kleine Theater riesig erscheinen zu lassen, sondern auch die Dramaturgie zu unterstützen. Mag Martin an der Rampe, kauernd über seinen Noten, winzig und verloren erscheinen, so droht ihn am Bühnenende der Raum zu erdrücken. Das entspannte Stehen und Innehalten während des Magnificats ist eine finale Emanzipation von der Enge der Krankenstation.

Die Platznot verbannt die Regensburger Philharmoniker an den rechten Rand, von wo sie bisweilen lautstark hereintönen. Jari Hiekkapelto leitet die Oper versiert, doch sollte er sich das misstönende Mitsingen versagen.

Wie das Publikum die Oper aufnehmen wird, muss sich zeigen. Ein interessiertes und spezialisiertes Uraufführungspublikum ist nicht repräsentativ. Doch vielleicht erzählt es weiter, dass da am Haidplatz eine neue hörenswerte Oper gegeben wird. (tv)


Fotos: © Juliane Zitzlsperger