Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE TOTE STADT
(Erich Wolfgang Korngold)
8. Juli 2005

Theater Osnabrück

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

zurück       Leserbrief

Borderline

„Bruges la morte“ ist Rodenbachs Roman der decadence, das Abbild einer morbiden Stadt. Korngolds Oper (1920) implementiert das emotionale Geflecht in das Lebensgefühl der 20er Jahre, psychologisierend, musikalisch Tradition und Avantgarde aufgreifend. In Osnabrück aktualisiert Michael Schulz das Konzept: Paul – der an die tote Marie gefesselte Anti-Held – wird zum Borderline-Patient, changierend zwischen Realität und Wahn, zwischen Provokationen und Ängsten, zwischen Selbstmitleid und Selbstaggression, zwischen menschlicher Beziehung und Zerstörungswut. Ein erschütterndes Psychogramm einer zerstörten Persönlichkeit als alarmierendes Dokument der existentiellen Krise individueller Deformationen in einer maroden Umwelt.

Jan Bammes entwirft dazu ein tiefschwarzes Bühnenbild, akzentuiert die Obsessionen Pauls mittels eines Altars aus Video-Displays, Projektionen im realen Vorgang – aber auch als innere Bedrängungen. Die vorzüglich funktionierende Bühnentechnik mit Hebungen und Drehbühne werden imaginativ genutzt.

Das Osnabrücker Symphonieorchester transportiert unter dem hochaufmerksamen Till Drömann die Klangwelten Korngolds in ihren differierenden Bedeutungen – romantische Passagen, Anklänge an Wagner-Momente, Verweise auf Wiener Konzertmusik, Andeutungen von Janacek-Konzepten – und das alles nicht beliebig „klangschön“, sondern transparent im Kontext mit der psychologisch diffizilen Regie-Konzeption.

Mit Hans-Hermann Ehrich agiert und singt ein Urgestein des Osnabrücker Theaters: die Rolle des Borderliners verkörpert er mit faszinierend-emotionalem Spiel und setzt seine Stimme mit erarbeiteten Schrammen und elementaren Brüchen mit vollem Engagement als stimmliche Identifikationsfigur des zerstörten Paul ein. Pia-Marie Nilsson ist eine quirlig-erotisierende Marietta mit frappierend präsentem Sopran: vor allem in den Höhen von imaginisierender Ausdruckskraft! Rüdiger Nikodem Lasa gibt den involviert-distanzierten Fritz ungemein gefühlvolle Stimme. Das Osnabrücker Ensemble und der Chor überzeugen als Begleiter der Phantasmagorien des psychopathischen Paul.

Viele Besucher verlassen das Theater in der Pause, andere stellen ergriffen fest: „Das hat eine Bedeutung“, aber es gibt in Osnabrück mittlerweile eine große meinungsbildende und sachverständige „Gemeinde“, die auch am Abend die Solisten und das Orchester gebührend feiert. Zu fragen ist allerdings, weshalb es keine abendliche Einführung gibt und weshalb auf Übertitel verzichtet wird. Ein großer Theaterabend wird unter Wert „verkauft“. (frs)


Foto: © Uwe Lewandowski