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Fakten zur Aufführung 

LA NONNE SANGLANTE
(Charles Gounod)
19. Januar 2008 (Dt. Erstaufführung)

Theater Osnabrück


Points of Honor                      

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Eine gespenstische Familiengeschichte

Im Orchester schäumt und tobt es, die pfeifenden Töne der Piccoloflöte stechen geradezu ins Ohr – dazu auf der Bühne lauter blutverschmierte Körper, deren Bewegungen im Stroboskop-Licht gespenstisch zerbrochen wirken. Unheimlich! Die Toten stehen wieder auf – oder waren nie richtig tot. So wie die „blutige Nonne“, die weiß gekleidete Frau mit dem roten Blutfleck auf dem Herzen.

Horrorfilme gab es Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht, wohl aber die Sehnsucht nach spannender Unterhaltung durch Gruseln und möglichst kalte Schauer, die über den Rücken laufen sollten. Ein Wunsch, der durch Romane bedient wurde – seriöse wie Mary Shelleys „Frankenstein“, oder mehr leicht-unterhaltende „Schauerromane“. Einen davon, „The Monk“ von Matthew Gregory Lewis, nahm sich Charles Gounod zur Grundlage für seine Oper „Die blutige Nonne“, mit der er Erwartungen bedienen und den Durchbruch als Komponist schaffen wollte. Die Uraufführung Anno 1854 in Paris verlief überaus glanzvoll. Auch die nachfolgenden elf Repertoirevorstellung brachten eine Menge Geld in die Kasse. Doch leider war da dieser neue Pariser Theaterdirektor, der – Erfolg hin und her - Gounod einen Strich durch die Rechnung machte, weil er die Vermischung von religiösen und weltlichen Motiven strikt ablehnte: „La Nonne Sanglante“ wurde kurzerhand abgesetzt und geriet ganz schnell in völlige Vergessenheit.

Das hat sich nun geändert: Osnabrücks Operndirektorin Carin Marquardt und Generalmusikdirektor Hermann Bäumer nahmen sich des Werks an. Unter abenteuerlichen Bedingungen – fast schon ein Krimi für sich - und mit viel Einsatz gelang es, das Stimmmaterial für das Orchester einzurichten und eine Partitur zu erstellen, die bislang vollständig gar nicht vorlag. Nur so konnte die schauerliche Geschichte einer Familienfehde, in der ein Gespenst und untote Vorfahren wichtige Rollen spielen, als Deutsche Erstaufführung aus der Taufe gehoben werden. Regie führte Gabriele Rech.

Es geht um eine Art Fluch, der auf dem jungen Liebenden Rodolphe liegt. Er soll die „blutige Nonne“ rächen, die einst von ihrem Liebhaber ermordet worden war und seitdem als Gespenst umherirrt. Nur so bekäme Rodolphe seine Braut Agnès, Tochter aus dem Hause der verfeindeten Familie. Zum Schluss stellt sich die furchtbare Wahrheit heraus: der Mörder der Nonne ist Rodolphes eigener Vater! Entsetzliche Qualen muss der arme Junge durchleiden. Und die finden sich auch in Charles Gounods Musik wieder. Große Emotionen machen sich da breit, schmachtende Liebesszenen, verzweifelte Ratlosigkeit, aufgepeitschte Aggressivität. Gounod ist ein Meister, wenn es um packende Wirkung geht – und Hermann Bäumer bringt mit den Osnabrücker Symphonikern diese Gefühlswelten zum Greifen nah.

Dabei hält sich das Gruselige oberhalb des Orchestergrabens auf der Bühne durchaus in Grenzen. Gabriele Rech und ihre Ausstatterin Stefanie Pasterkamp tun ihr Bestes, einem Publikum des 21. Jahrhunderts einen Stoff zu vermitteln, der doch schon weit entfernt und angestaubt wirkt. Charaktere können sie nicht entwickeln, weil keine vorkommen. So greifen sie uns bekannte Bilder auf: welke Blätter als Vergänglichkeitsmotiv, Friedhofsszenen - und für die Hochzeit der Untoten hält Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ her. Das weckt kurzzeitig Assoziationen, kann aber keinen großen Spannungsbogen erzeugen.

Wirklich erfreulich, auf welch hohem Niveau in Osnabrück gesungen wird. Eva Schneidereit in der Titelrolle bringt ihren satten, auch in der Tiefe finster lodernden Alt zur Geltung; Natalie Atamanchuk changiert in der Rolle der Braut Agnès zwischen Wut und Verzweiflung, Marco Vassalli ist ihr Schwiegervater in spe, der Comte de Luddorf. Ebenmäßig sein Bariton – und glaubwürdig vor allem gegen Ende, wo deutlich wird, dass durch Luddorfs Bluttat diese Familientragödie überhaupt in der Welt ist. Genadijus Bergorulko überzeugt als Agnès Vater, Iris Marie Kotzian in der quirlig umgesetzten Hosenrolle des Pagen Arthur.

Vor allem aber ist es Yoonki Baek, der Überragendes leistet. Für seinen Rodolphe - ganz zweifellos die eigentliche Hauptrolle in dieser Oper - mobilisiert er unglaubliche Energien. Immer und immer wieder geht es steil hinauf in die höchste Stimmlage. Und Baek kommt an – immer. Und scheinbar völlig mühelos. Ein Riesenbeifall für diesen fabelhaften Tenor, doch das Premierenpublikum würdigte insgesamt eine tolle Teamleistung mit rasendem Applaus. Schon zur Pause gab es heftigsten Beifall, am Schluss etliche Vorhänge, auch für Gabriele Rech.

Fans der französischen Oper des 19. Jahrhunderts können sich diese Wiederentdeckung auf keinen Fall entgehen lassen.

Christoph Schulte im Walde

 














 Fotos: Klaus Fröhlich