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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
2. Juli 2005 (Premiere)

Städtische Bühnen Osnabrück

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Schwierigkeiten mit der Erlösung

Erlöst wurde bei der Premiere von Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ an den Städtischen Bühnen Osnabrück allein das Publikum, nämlich von einer gut zwei Jahrzehnte währenden Wagner-Abstinenz im Spielplan. Für den scheidenden Hausherrn Norbert Hilchenbach hingegen spielt Wagners Erlösungsgedanke keine bedeutende Rolle. Seine Inszenierung liest sich noch einmal als eine Hommage an die Maßstäbe setzende, 1978 in Bayreuth präsentierte Deutung Harry Kupfers.

Sogleich mit Beginn der Ouvertüre wird das Kind Senta hinter einem Gazeschleier erkennbar, wie es bald das Bild des Holländers an seine Brust presst. Das Geschehen des ersten Akts verfolgt Senta, die ja eigentlich erst im zweiten Aufzug auftritt, von einem balkonartigen Gerüst, das über eine Wendeltreppe mit der Hauptszene, dem Reich ihrer Imagination, verbunden ist. Die Trauminhalte offenbaren, warum sich das Mädchen in seine Innenwelt zurückgezogen hat: Es ist die Abkehr von einer Welt des Unzusammenhangs aus lauter narzisstisch an ihre eigenen Interessen geketteten Menschen. Das inszeniert sich auch leichter, denn die Kommunikation beschränkt sich so, etwa im Duett Holländer/Daland, auf solipsistische Mitteilungen ohne persönliche Ansprache.

Wie ein Phallus fährt dann der Bug des Holländerschiffs auf Sentas Phantasietheater. Die Anziehungskraft, die der Holländer auf Senta ausübt, ruht aber allein auf der Magie des Bildes; der reale Holländer dagegen strebt eher nach gesellschaftlicher Integration. Dabei bleibt nicht ohne Reiz, wie Hilchenbach die Darstellung des Holländers durch George Gagnidze zwischen den Wunsch- und Angstprojektionen Sentas und der Realität eines angehenden Konformisten changieren lässt. Am Ende hat Senta bei Hilchenbach in einer letzten Zuspitzung von Kupfers Ansatz nicht einmal mehr die Freiheit zum Freitod: Der schrecklich beherzte Erik hält sie in einer fulminanten Machtprobe davon ab, sich mit dem erlösenden Messer zu entleiben.

Hilchenbach inszeniert das alles insgesamt schlüssig, augenschmeichelnd und in den Buffoszenen überaus kurzweilig. Indes hält er sich an eine Konzeption, die für das Jahr 2005 nichts riskiert, die nicht die überfällige Frage nach der Erlösungsthematik im Ganzen neu zu stellen wagt. Mit diesem Einspruch soll keineswegs einer simpel verklärenden Mystifizierung oder gar Wagners fragwürdigem Frauenbild das Wort geredet werden. Aber verdient nicht der utopische Gedanke, dass in einer heillosen Welt doch Rettung möglich ist, und zwar durch Hingabe (Senta) sowie Erkenntnis und Selbstüberwindung (Holländer), verdient nicht dieser Gedanke in einer dem Frühkapitalismus des Jahres 1841 in mancher Hinsicht verwandten Zeit mehr prüfende Wertschätzung?

Zu einem großen Erfolg wird die Produktion besonders auch durch ihre musikalischen Qualitäten. GMD Hermann Bäumer hat sich mit diesem „Holländer“ endgültig in die Herzen der Osnabrücker dirigiert. Das Orchester spielt leidenschaftlich und doch präzise, rauschhaft aufschäumend und dabei stets kontrolliert. Aus der hochdramatischen, durch wohldosierten Rubatoeinsatz gezielt intensivierten Ausdrucksspannung heraus flutet Bäumer das musikalische Material immer wieder zu erhabenen Klangflächen. In schier überirdischer Schönheit leuchten die instrumentalen Farben.

Glanz wird der Aufführung außerdem durch eine vom Publikum ebenfalls mit Jubel honorierte herausragende Ensembleleistung zuteil. Majken Bjerno (Senta) fesselt darstellerisch mit einem expressionistischen Impetus und vokal mit berückend duftigen Nuancen. Im Finale des 2. Aktes fehlt es ihrem Gesang allerdings an der sicheren Vollhöhe. George Gagnidzes Holländer imponiert durch markige Robustheit und Vitalität, was bei ihm lyrische Akzente keineswegs ausschließt. Ausgezeichnet besetzt sind auch die übrigen Rollen, so etwa Ralph Ertels Steuermann mit einnehmend kantabler Melodieformung oder der Daland Michael Tews mit feiner Ironie für die Reste italienischer Opernkonvention in seiner Partie. Opernchor und Extrachor der Städtischen Bühnen singen mit kraftvoller Fülle und dramatischer Agilität ohne aufgesetzten Überdruck. (ct)


Fotos: © Jeffrey Delannoy