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Fakten zur Aufführung 

DIE HERZOGIN VON CHICAGO
(Emmerich Kalman)
4. Juli 2003


Theater Osnabrück


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Blütenträume aus Pappmaché

"Die Herzogin von Chicago" gehört sicherlich nicht zu den meist gespielten Operetten in der deutschen Theaterlandschaft. Das liegt zum einen sicherlich am niedrigen Bekanntheitsgrad dieses Werkes, andererseits aber auch an den großen Ansprüchen, die es an die beteiligen Musiker, Sänger und Tänzer stellt.

In der "Herzogin" treffen in den Figuren der reichen, kapriziösen amerikanischen Millionärstochter Mary Lloyd und des der des Erbprinzen Sandor von Sylvarien (einem fiktiven Kleinstaat auf dem Balkan) nicht nur zwei unterschiedliche Charaktere, sondern auch 2 Kulturen aufeinander. Der Komponist versteht es sehr sensibel für jede dieser Figuren eine charakteristische musikalische Atmosphäre zu schaffen: für Mary bedient er sich der damals aktuellen Jazzidiomatik, wohingegen er Sandor mit bereits von ihm erprobten balkanesk-ungarisch anmutenden Klängen ausstattet. Dieser musikalischen Herausforderung stellen sich Soli, Chor und Orchester der Städtischen Bühnen Osnabrück. Das Ergebnis lässt sich hören: Die gesamte Operette wird mit viel Liebe zum Detail und enthusiastisch ausmusiziert (musikalische Leitung Alexander Steinitz).

Leider gehen in den Orchestermassen dieser sehr aufwendig instrumentierten Operette einige Sänger unter. Hans-Herrmann Ehrich hat in der Partie des Sandor teilweise große Mühe sich gegen das Orchester durchzusetzen und wirkt auch in seiner Darstellung blass, verhalten und zurückgenommen. Nicht so sein weiblicher Gegenpart: Natalia Atmanchuk setzt sich mühelos gegen die Klangwolken aus dem Orchestergraben durch. Sie singt, spielt und wirbelt durch die Operette, dass es eine wahre Freude ist ihr dabei zuzusehen.

Der einzige Schwachpunkt dieser Aufführung ist die Choreographie. Der Kampf der Kulturen äußert sich nicht nur musikalisch, sondern auch in den Tänzen, die mit der jeweiligen Kultur verbunden sind: Charleston gegen Csardas. Und hier wurde in der Arbeit in erster Linie mit den Sängern einiges versäumt (Choreographie: Jean Emile). Deren Tänze haben keine Form und wirken eher laienhaft gehopst als getanzt, wodurch der Eindruck entsteht, dass die Protagonisten der Oper sich auch nicht sehr wohl in ihrer Haut fühlen. Um dieses zu umgehen, werden viele (eigentlich den Sängern zugedachte) Duettnachtänze vom Tanztheater übernommen, was zwar dem optischen Eindruck durchaus dienlich ist, aber den Figuren das Medium Tanz als Kommunikationsvehikel vorenthielt. Positiv allerdings ist zu bewerten, dass das Tanztheater der Städtischen Bühnen Osnabrück seinen Part sehr rasant und präzise ausführte.

Ein besonderes Lob gebührt dem Chor: Durch musikalische Präzision (Einstudierung Marco Zeiser Celesti) und szenische Präsenz ist er in der Lage, die jeweilige Entourage der Protagonisten (vom amerikanischen Yuppiegirl bis zum sylvarischen Aristokraten) zu repräsentieren und musikalisch zu untermauern.

Die szenische Konzeption (Regie Thomas Münstermann) ist ungewöhnlich, aber effektvoll. Die auf Prospekten gemalten Kulissen wirken wie Bühnenbildentwürfe (Bühne Peer Palmowsik), entsprechend dazu die Kostüme wie Figurinen (Kostüme Imme Kachel). So entsteht der Eindruck, dass die Operette aus einem Buch entsprungen ist und in der Phantasie der Zuschauer erst ein komplettes Bild ergibt. Der Schluss, den Münstermann für die Operette erfindet, ist von der Anlage her bemerkenswert: mitten im jazzseligen Finale erscheint Hitler und die Papierkulissen gehen in einem Flammenmeer auf - von der leichtfüßigen Operettenwelt bleibt nichts mehr übrig.

Im Ganzen betrachtet ist diese Aufführung ein interessantes Beispiel dafür, welche Möglichkeiten eine zeitgenössische Operettenrezeption bietet: weg von einer vordergründigen Champagnerseeligkeit hin zu einer wirklichen Durchleuchtung und Interpretation der Meisterwerke dieses Genres. (tk)