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Blütenträume aus Pappmaché
"Die Herzogin von Chicago" gehört sicherlich nicht zu den meist gespielten
Operetten in der deutschen Theaterlandschaft. Das liegt zum einen sicherlich
am niedrigen Bekanntheitsgrad dieses Werkes, andererseits aber auch an
den großen Ansprüchen, die es an die beteiligen Musiker, Sänger und Tänzer
stellt.
In der "Herzogin" treffen in den Figuren der reichen, kapriziösen amerikanischen
Millionärstochter Mary Lloyd und des der des Erbprinzen Sandor von Sylvarien
(einem fiktiven Kleinstaat auf dem Balkan) nicht nur zwei unterschiedliche
Charaktere, sondern auch 2 Kulturen aufeinander. Der Komponist versteht
es sehr sensibel für jede dieser Figuren eine charakteristische musikalische
Atmosphäre zu schaffen: für Mary bedient er sich der damals aktuellen
Jazzidiomatik, wohingegen er Sandor mit bereits von ihm erprobten balkanesk-ungarisch
anmutenden Klängen ausstattet. Dieser musikalischen Herausforderung stellen
sich Soli, Chor und Orchester der Städtischen Bühnen Osnabrück. Das Ergebnis
lässt sich hören: Die gesamte Operette wird mit viel Liebe zum Detail
und enthusiastisch ausmusiziert (musikalische Leitung Alexander Steinitz).
Leider gehen in den Orchestermassen dieser sehr aufwendig instrumentierten
Operette einige Sänger unter. Hans-Herrmann Ehrich hat in der Partie des
Sandor teilweise große Mühe sich gegen das Orchester durchzusetzen und
wirkt auch in seiner Darstellung blass, verhalten und zurückgenommen.
Nicht so sein weiblicher Gegenpart: Natalia Atmanchuk setzt sich mühelos
gegen die Klangwolken aus dem Orchestergraben durch. Sie singt, spielt
und wirbelt durch die Operette, dass es eine wahre Freude ist ihr dabei
zuzusehen.
Der einzige Schwachpunkt dieser Aufführung ist die Choreographie. Der
Kampf der Kulturen äußert sich nicht nur musikalisch, sondern auch in
den Tänzen, die mit der jeweiligen Kultur verbunden sind: Charleston gegen
Csardas. Und hier wurde in der Arbeit in erster Linie mit den Sängern
einiges versäumt (Choreographie: Jean Emile). Deren Tänze haben keine
Form und wirken eher laienhaft gehopst als getanzt, wodurch der Eindruck
entsteht, dass die Protagonisten der Oper sich auch nicht sehr wohl in
ihrer Haut fühlen. Um dieses zu umgehen, werden viele (eigentlich den
Sängern zugedachte) Duettnachtänze vom Tanztheater übernommen, was zwar
dem optischen Eindruck durchaus dienlich ist, aber den Figuren das Medium
Tanz als Kommunikationsvehikel vorenthielt. Positiv allerdings ist zu
bewerten, dass das Tanztheater der Städtischen Bühnen Osnabrück seinen
Part sehr rasant und präzise ausführte.
Ein besonderes Lob gebührt dem Chor: Durch musikalische Präzision (Einstudierung
Marco Zeiser Celesti) und szenische Präsenz ist er in der Lage, die jeweilige
Entourage der Protagonisten (vom amerikanischen Yuppiegirl bis zum sylvarischen
Aristokraten) zu repräsentieren und musikalisch zu untermauern.
Die szenische Konzeption (Regie Thomas Münstermann) ist ungewöhnlich,
aber effektvoll. Die auf Prospekten gemalten Kulissen wirken wie Bühnenbildentwürfe
(Bühne Peer Palmowsik), entsprechend dazu die Kostüme wie Figurinen (Kostüme
Imme Kachel). So entsteht der Eindruck, dass die Operette aus einem Buch
entsprungen ist und in der Phantasie der Zuschauer erst ein komplettes
Bild ergibt. Der Schluss, den Münstermann für die Operette erfindet, ist
von der Anlage her bemerkenswert: mitten im jazzseligen Finale erscheint
Hitler und die Papierkulissen gehen in einem Flammenmeer auf - von der
leichtfüßigen Operettenwelt bleibt nichts mehr übrig.
Im Ganzen betrachtet ist diese Aufführung ein interessantes Beispiel dafür,
welche Möglichkeiten eine zeitgenössische Operettenrezeption bietet: weg
von einer vordergründigen Champagnerseeligkeit hin zu einer wirklichen
Durchleuchtung und Interpretation der Meisterwerke dieses Genres. (tk) |
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