Sexual-Fantasien
Die „Entführung“ ein harmloses Singspiel über den Zusammenstoß der Kulturen? In einer außerordentlich konsequent reflektierten Inszenierung von Jörg Behr wird mit diesem Klischee Schluss gemacht. Die Frauen verlassen ihre Liebhaber, geraten in eine Welt bislang offenbar unerfüllter sexueller Angebote, erleben das Abenteuer von Liebe und Leidenschaft, aber auch von Triebhaftigkeit und Aggressivität.
Am Ende war alles ein Traumort, die Protagonisten bleiben irritiert-frustiert zurück – „Es lebe die Liebe“ wird zur grandiosen Selbst-Täuschung. Jörg Behr inszeniert eng an den unterschwelligen musikalischen Vorgaben, vermittelt mit Constanzes „Martern aller Arten ...“ die gefühlte Diskrepanz von glühender Sehnsucht und erlebter Gewalt: Ein bewegendes Beispiel für gefundenes „Theaterhandeln“!
Peter Sommerer evoziert mit dem blendend präparierten Osnabrücker Symphonieorchester einen hart-gebrochenen Klang, der weit entfernt ist von allem, was gemeinhin als „mozartesk“ charakterisiert wird. Auch die türkisierenden Elemente werden zu Ausdrücken fremder Umgebungen, aber nicht zu quasi-authentischen Passagen ethnisch bedingter Kultur.
Antje Bitterlich hat die stupende Fähigkeit, sowohl den extremen Tonumfang zu bewältigen als auch die von Mozart vorgegebene Ambivalenz von schmerzlicher Melodie und perlenden Koloraturen höchst ausdrucksstark zu bewältigen. Iris Marie Kotzian gibt der selbstbewußten Blonde stimmlichen Charakter mit aggressiven Höhen und sicherer Mittellage. Mark Hammanns Pedrillo vermittelt stimmlich-agile Naturburschen-Attitüde, und Kolja Hosemann ist mit seinen stimmlichen Möglichkeiten ein Belmonte, der an den sexuellen Begierden Constanzes scheitert.
Der Chor des Theaters Osnabrück verkörpert eine Art freizügigen swinger-club, dessen Chef mit Zuhälter-Attitüde der Selim Bassa ist (Paul Weismann mit typengerechter Ausstrahlung, dem man allerdings seine abrupte „Liebe“ nicht abnehmen kann - ein gravierender Schwachpunkt des Regie-Konzepts); und Frank Färber ist sein militanter Leibwächter Osmin, dessen Aggressivität aber weder darstellerisch noch stimmlich die adäquaten Ausdrucksmittel findet.
Martin Fischer baut eine funktional-variable Bühne, mit assoziationsreichen Tischen im Vordergrund und der Vorder- und Rückseite einer martialischen Trennwand mit sich öffnenden Türen auf der kalkuliert eingesetzten Drehbühne. Er schafft damit Handlungsräume für die disparaten kommunikativen Beziehungen der Protagonisten.
Im vollbesetzten Osnabrücker Theater herrscht gespanntes Sehen und Hören: Das Nachgehen sexueller Phantasien in Kombination mit einer scheinbar bekannten Geschichte, lässt offenbar keinen Besucher kalt! Langanhaltender Applaus. (frs)
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