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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
16. Januar 2010 (Premiere)

Theater Osnabrück


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Ein Nocturne ohne Illusionen

Liebe und Tod wollte Verdi seine Oper über die Kameliendame zuerst titeln. Nadja Loschky hat sich diesen Hinweis sehr zu Herzen genommen und stellt in ihrer Traviata-Inszenierung der Liebesgöttin Violetta den Tod als hinzuerfundene Figur zur Seite. Die wundervolle Tänzerin Aymeline Lenay-Ferrandis verkörpert „das Dunkle“ als fahles, nacktes und unnahbares Alter Ego Violettas. Zuerst flieht Violetta noch vor diesem ihren eigenen Tod, später fügt sie sich ihm willig - und wird zuletzt im wohl spektakulärsten Moment des Abends eiskalt von ihm im Stich gelassen, wenn sie als Sterbende vor seinen mitleidlosen Armen ins Nichts fällt. Aus dem Melodramma Piaves und Verdis hat die Regisseurin ein illusionslos-schauriges Nachtstück mit einer oft faszinierenden Tiefenstaffelung der innerseelischen Handlungsräume geformt. Violettas infamen Freundeskreis führt der engagiert spielende und gut studierte Chor als ein finsteres Gewühl von untoten Toten ein, vielleicht sind auch diese Schattenexistenzen nur ein Vexierbild aus dem Psycholabyrinth der Traviata. Ein sardonisches Maskenspiel der Gäste auf Floras Fest, entlehnt aus Willy Deckers Salzburger Traviata, verhöhnt die unglücklich Liebenden, dann geht es ohne Pause in den dritten Akt und das heißt in die ausweglose Einsamkeit der imaginativen Welt Violettas.

Mit der Liebe hapert es allerdings ein wenig bei Nadja Loschkys Regiearbeit. Die Liebe sei der Pulsschlag des ganzen Universums, behauptet Alfredo im ersten Akt und die Drehbühne von Gabriele Jaenecke zeigt eine wundersam irreale, kosmisch-kühle Landschaft aus großen und kleineren filigranen Kugelgebilden. Doch zu Beginn des kammerspielartigen zweiten Bildes hängt die Inszenierung dann durch: steril und fade das Interieur, zu harmlos und blass die Personenführung. Oder soll so etwa die Domestikation Violettas durch die Banalität des bürgerlichen Alltags verdeutlicht werden?

Wie dem auch sei, Liebe und Leidenschaft schrumpfen hier zur bloßen Konvention, genauso wie Bernardo Kim die Partie des Alfredo mit seinem urgesunden Tenormaterial zwar gewissenhaft und gediegen, jedoch ohne sinnlichen Zauber heruntersingt. Aber auch Daniel Moon als Giorgio Germont, bei Loschky ist er ein Invalide mit Großinquisitor-Gehabe, rettet das warme, schmeichelnde Timbre seines Baritons keineswegs vor einem allzu pauschalen Zugriff auf die vokale Linie. Natalia Atamanchuk ist Osnabrücks neue Traviata: eine Sängerdarstellerin von jugendlich-attraktiver Erscheinung, eindringlicher Bühnenpräsenz und mitreißender Hingabe. Die Charakterisierungskraft ihres immer wieder zu leuchtenden Höhepunkten von wahrhaft berückender Ausdrucksintensität gesteigerten Singens erscheint beachtlich, wird allerdings bisweilen in der mittleren und tiefen Lage durch die harsche Artikulation der Phrasenenden geschmälert.

GMD Hermann Bäumer gelingt mit dem Osnabrücker Symphonieorchester eine Partiturauslegung von höchster Eloquenz. So wie Bäumer und seine exzellenten Musiker mit traumwandlerischen Einfühlungsvermögen und einer bis in Detail dosierten Dynamik den fiebrigen Rhythmen der tänzerisch wiegenden Begleitfiguren nachspüren, entsteht tatsächlich der Eindruck, als erklinge die Musik zum ersten Mal. Ein Dirigent und ein Orchester auf dem Weg zur Spitzenklasse!

Nicht allein die Ausnahmeleistung des fulminanten Orchesters wird vom spürbar berauschten Publikum mit Bravo-Salven und lang anhaltendem Beifall goutiert. Beachtet man Verdis eigenen Maßstab, der großen Wert auf das Votum des Publikums legte, weil und sofern es „nicht aus der miserablen Sicht von Journalisten, Maestri oder Klavierspielern, sondern aus seiner eigenen Eindrucksfähigkeit“ urteilt, so steht fest: Ein triumphaler Abend für die Verdi-Pflege am Theater Osnabrück.

Christian Tepe

 







Fotos: Klaus Fröhlich