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Fakten zur Aufführung 

PELLEAS ET MELISANDE
(Claude Debussy)
12. Juni 2010 (Premiere)

Theater Osnabrück


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Liebe, Eifersucht, Misstrauen – ein Mikrokosmos der Gefühle

Bevor sich der Vorhang vollständig hebt, dient er als Leinwand für einen kurzen Film: da fährt ein Luxus-Oldtimer auf einer schmalen Straße durch einen reichlich dunklen Wald. Das Wetter ist trüb, die Stimmung düster. Irgendwann erreicht die Karosse ihr Ziel. Jetzt ist der Blick freigegeben auf eine einstmals wohl prächtige Villa mit Garten, Teich und großer Freitreppe. Das Anwesen hat gewiss bessere Tage gesehen. Hier wohnt Arkel und seine Verwandtschaft, aber auch der Schimmelpilz hat längst Einzug gehalten. Will man so leben? Mélisande bekennt, dass sie sich nicht wohl fühlt. Doch das hat rein gar nichts mit dem Pilzbefall zu tun.

Maurice Maeterlinck thematisiert in seinem Drame lyrique Gedanken und Gefühle, Ahnungen und Befürchtungen, Wunschvorstellungen und knallharte Realitäten in einem Mikrokosmos aus fünf, sechs Personen. Unglückliche Liebe, Eifersucht, unerfüllte Sehnsüchte, Misstrauen, ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, nicht zuletzt das Sich-Fügen in das vermeintliche Schicksal... in der sich auflösenden Villa, die Tom Schenk auf die Drehbühne baut, kommen all diese Momente ausdrucksstark zur Geltung. Die ganze Atmosphäre dieser Inszenierung, für die Antoine Uitdehaag verantwortlich zeichnet und für die Erika Landertinger absolut stimmige Kostüme entwickelt, ist von jener Morbidität und auch Trostlosigkeit, die in dem steckt, was sich in Debussys Oper als „Handlung“ entfaltet. Es sind klare, schnörkellose Bilder, durch die das Augenmerk ganz auf die inneren Befindlichkeiten der Protagonisten gelenkt wird. Und diese Befindlichkeiten spiegelt Debussy durch seine Musik: ein Spiel vor allem der schillerndsten Farben, auch der Rhythmen. Alles scheint ein großer Fluss, der wie vorgezeichnet, also schicksalhaft, seinen Lauf sucht und findet. Hermann Bäumer am Pult des Osnabrücker Symphonieorchesters tut alles, um diese kaleidoskopartige Farbigkeit zu transportieren. Das gelingt ihm großenteils sehr gut und schön, auch intensiv. Zum ganz großen Erlebnis fehlt es denn doch noch an hundertprozentiger Disziplin, sei es im Hinblick auf die Intonation der Streicher oder die Genauigkeit der Bläser. Debussys Partitur stellt da höchste Ansprüche, zumal dann, wenn – wie hier - in einem doch recht trockenen Opernhaus gespielt werden muss.

Gesanglich kann Osnabrücks Musiktheater aus dem Vollen schöpfen. Da gibt es nicht die geringsten Ausfälle. Marco Vassalli ist ein berückender Pelléas, der fesselnd spielt und ebenso fesselnd singt. Eine Art Bohèmien, der sich offenbar der Dichtkunst verschrieben hat – und damit den völligen Gegensatz darstellt zu seinem Halbbruder Golaud. Der nämlich wirkt immer so korrekt und vordergründig kontrolliert. Daniel Moon leiht ihm seinen noblen, durch alle Lagen hindurch wunderbar ausgeglichenen und stimmschönen Bariton. Ein ganz fantastisches Rollenportrait zeichnet Natalia Atamanchuk als Mélisande: eine rätselhafte Frau, die bis zum Schluss ihre Geheimnisse nicht preisgibt. Mit Hingabe versetzt sich Atamanchuk in die so wechselhaften Gefühlslagen, lässt dabei ihren lyrischen, sehr runden und gut geführten Sopran leuchten.

Heikki Yrttiaho ist der Patron namens Arkel. Eine gebieterische Figur, der Herr des Hauses. Entsprechend raumgreifend und markant setzt Yrttiaho seinen sonoren Bass ein, singt aber etwas eindimensional und geradeaus. Elisabeth Hornung ist Geneviève – und bringt die Dignität ihrer Rolle vollends überzeugend zum Ausdruck. Anja Meyer ist Yniold, der kleine Sohn aus Golauds erster Ehe, ein Mix aus kindlicher Quirligkeit und nachdenklicher Sorge um die spannungsvollen Beziehungen. Meyers Sopran ist ideal für diese Rolle. Die kleine Rolle des Arztes im fünften Akt übernimmt Genadijus Bergorulko durch und durch verlässlich.

Osnabrücks Premierenpublikum zeigt sich schwer beeindruckt von der Einfachheit der Bilder, die doch so viel sagen – und von der musikalischen Leistung „ihres“ Ensembles und Orchesters. Das Regieteam wird lebhaft gefeiert.

Christoph Schulte im Walde

 











Fotos: Uwe Lewandowski