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Fakten zur Aufführung 

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)
15. Januar 2011 (Premiere)

Theater Osnabrück


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Ein Dichter am Ende

„Hoffmann? Hier gibt es keinen Hoffmann!“ stellt der Hausmeister ganz am Ende fest. Entweder hat es diesen Mieter hier in dieser etwas heruntergekommenen Plattenbausiedlung nie gegeben. Oder er ist nach seinem Tod schnell vergessen worden, dieser am Leben gescheiterte Dichter.

Den tristen Bau samt Treppenhaus stellt Paul Zoller auf die Bühne. Der könnte genauso gut in Leipzig stehen wie auch in einer der Pariser Banlieus. Regisseur Lorenzo Fioroni, wegen eines Knochenbruchs seit Wochen gesundheitlich gehandicapt, arbeitet mit Jan-Richard Kehl zusammen. Die beiden verorten die Geschichte in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Dafür schafft Annette Braun vielfältigste Retro-Outfits. Die Rahmenhandlung liefert die Muse, die anfangs als Bibliothekskraft den Nachlass des Dichters ordnet und sein Manuskript liest. Am Ende tritt sie als Bestattungsunternehmerin auf.

Hoffmann ist gescheitert, auch finanziell, und muss seine Wohnung räumen. Vorher kommen ihm Stationen aus seiner Vergangenheit in den Sinn. Er erlebt noch einmal sein Versagen und verlässt zum Schluss nicht nur die Wohnung, sondern auch das Leben. Die Hausgemeinschaft versammelt sich mit Kränzen zu Hoffmanns Gedenken.

Doch zunächst ist da die Erinnerung an Olympia. Eine Karnevalsparty tobt im Haus, mittendrin die zierliche Olympia, geradezu zwanghaft fröhlich und aufgedreht. Vermutlich haben Drogen und Alkohol sie zur Maschine gemacht. Hoffmann ist angeekelt und fasziniert zugleich.

Dann Antonia, die Sängerin. Sie und ihr Vater kommen zu Hoffmann als Horror-Traum, als Untote und führen ihm vor Augen, warum Antonia sterben musste: Weil Hoffmann sie vor die Wahl gestellt hat zwischen Liebe und Beruf. In diesem Akt liegt der Schwachpunkt von Fioronis Inszenierung. Er entscheidet sich für gesprochene Dialoge, die dann letztendlich doch zu lang und zu hemmend sind. Gleichwohl entsteht ein faszinierendes Bild der Mimesis: Hoffmann schlüpft in Antonias Kleider, während ihre Leiche vom Himmel herabschwebt.

Im Spielcasino um die Ecke arbeitet Giulietta, die Prostituierte. Hier werden Menschen aus Geldgier zu Kindern, entblößen sich selbst. Kein gutes Pflaster für Hoffmanns letzte Liebe.

Alle Frauen müssen sterben, weil sie dem vom Dichter in sie hineingelegten Idealvorstellungen nicht entsprechen. Die Schurken, die ihr Ende befördern, sind letztlich nur das Alter Ego des Dichters.

Fioroni schafft mitunter surreale Situationen zwischen Wahn und Wirklichkeit. Eine sehr anspruchsvolle, vielschichtige Inszenierung, die Realität und Fiktion miteinander verschränkt und deren Grenzen verschwimmen lässt. Es sind starke Tableaus, die nicht immer leicht zu entschlüsseln sind.

Musikalisch schöpft Osnabrücks Generalmusikdirektor Hermann Bäumer aus dem Vollen. Seine Symphoniker zeigen sich von ihrer allerbesten Seite und bringen Offenbachs so farbige, vielschichtige Musik auf das Feinste zur Geltung.

Auch die Sängerdarsteller machen eine tolle Figur. Bernardo Kim absolviert die Titelpartie bravourös. Ani Taniguchi (Olympia) stemmt die sportlichen Anforderungen ihrer Partie mit Verve, Natalia Atamanchuk ist eine zurückhaltende, in sich zerrissene Antonia. Sabine Ritterbusch stattet die Giulietta mit ihrem üppigen Sopran aus. Genadijus Bergorulko gibt die Schurken diabolisch-finster, Mark Hamman ist für die vier Diener, denen er viel Individualität verleiht, eine Idealbesetzung.

Den gesanglichen Höhepunkt aber schafft Eva Schneidereit als Muse. Ihr Mezzo hat sich ganz wunderbar entwickelt – mit großer, satter Tiefe ausgestattet, strömt er fulminant.

In den vielen anderen großen, mittleren und kleinen Rollen: keinerlei Ausfälle, ganz zu schweigen vom prächtigen Chor (Einstudierung Holger Krause) – eine ganz und gar nicht selbstverständliche Sternstunde am Osnabrücker Theater, die vom hochkonzentrierten Publikum mit viel Applaus aufgenommen wird.

Christoph Schulte im Walde

 

















 
Fotos: Klaus Fröhlich