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Fakten zur Aufführung 

DER FREISCHÜTZ
(Carl Maria von Weber)
26. September 2009 (Premiere)

Theater Osnabrück


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Krank gemacht vom Krieg

Den ganz gewöhnlichen Alltag, ein ganz normales Leben gibt es nicht mehr. Stattdessen dominiert dies eine: die Angst. Manchmal zittert Max ungewollt und unkontrolliert am ganzen Körper. Die Rituale, die er vollzieht, sind bar jeden Sinnes. Das tägliche Hissen der Flagge, das mechanische Reinigen des Gewehrs – wozu?
Max ist der „Freischütz“ in der Lesart des Regisseurs Lorenzo Fioroni. Der packt mittels Carl Maria von Webers „romantischer“ Oper ein wichtiges und ernstes Thema an, das gerade wieder aktuell diskutiert wird. Max war Soldat, er hat Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt - und ist völlig traumatisiert, unfähig, seine Liebe zu Agathe blühen zu lassen. Nicht zu Recht kommt er auch mit dem Leben in der dörflichen Gemeinschaft. Wenn zu Beginn ein Schützenfest gefeiert wird, die dörflichen Vereine einen Umzug veranstalten (mit echtem Spielmannszug!), so ist Max das psychisch wie physisch zuwider. So zeigt er zum Beispiel Tinnitus-Symptome: der Krieg hat Max zu einem wahrhaft asozialen Menschen gemacht, der unfähig ist, in einer Gemeinschaft zu leben. Das schlägt auf die arme Braut zurück, auch sie ist ziemlich fertig mit der Welt und mit ihrem so seltsam veränderten Max. Verbindung zur „Normalität“ dort draußen schafft allenfalls das lebenslustige, trinkfeste Ännchen, Agathes Freundin.
Fioronis Ansatz funktioniert und hält bis zum Schluss durch. Und vor allem kommt er ohne jeden Kitsch und ohne jedes Klischee aus, was beim Freischütz schon einiges heißt. Kein deutscher Wald, keine Grünröcke mit Hörnern an den Lippen. Paul Zoller schafft einen Dorfplatz, der durch Absperrzäune für den Festumzug geprägt ist – vor einer Kulisse mit Kirche, Feldern, Tankstelle und einer Busstation, an der immer wieder mal neue Soldaten ankommen. Das ist alles wohltuend und unaufgeregt. Trotzdem möchte man auf ewig wiederkehrenden Requisiten wie Bierkästen oder Plastikeinkaufstüten lieber verzichten.
Die Freikugeln, mit denen Max seine Prüfung bestehen will, bekommt er in einer virtuellen Wolfsschlucht, einem Computerspiel, in dem ordentlich geballert wird, von Level Eins bis Sieben. Auch das wirkt in dieser Inszenierung schlüssig und nirgends aufgesetzt.
Sabine Blickenstorfer verwandelt mit ihren Kostümen den Jägerchor in einen todverkündenden Zug voller Sensenmänner. Der weist hin auf das brutale Ende, das auch, wenngleich Traum und Wirklichkeit parallel auf der Bühne gezeigt werden, nichts Versöhnliches hat. Hier die von der Kugel getroffene Agathe, dort als Hirngespinst eine lebende; hier ein gesund gewordener Max, dort das psychische Wrack, das seinem Dasein ein Ende setzen wird. Eine berührende Interpretation auf sängerisch gutem Niveau. Sabine Ritterbusch haucht der Agathe glaubwürdiges Leben ein. Sie imponiert mit kraftvoller Höhe und mit Substanz gefülltem zartem Piano. Renatus Mészár mobilisiert seinen noblen, durch und durch ebenmäßigen Bariton für den Kaspar. Er gibt ihm ebenso viel Verzweiflung ob seiner von Agathe nicht erwiderten Liebe wie Brutalität; Hans Georg Priese könnte die Titelrolle stimmlich noch etwas freier gestalten. Er wirkt oft stark gehemmt. Anja Meyers Ännchen lässt vor allem im dritten Akt während ihrer Romanze aufhorchen. Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber dem, was Meyer zu Beginn an stimmlichen Möglichkeiten präsentiert. Hartmut Bauer, Daniel Moon, Marco Vassalli und Genadijus Bergorulko gestalten die kleineren Partien auf solidem Fundament.
Peter Sommerers Chor nutzt die Chance, die der Freischütz Chören bietet, singt frei und zeigt viel Spielfreude.
Die ist sicher auch dem Osnabrücker Symphonieorchester unter Hermann Bäumer nicht abzusprechen. Doch hier ist noch einiges an Feinarbeit zu leisten. Allzu oft wird Webers Partitur noch durch Ungenauigkeiten getrübt. Vor allem die Hörner haben am Premierenabend nicht sonderlich viel Glück.
Osnabrücks Freischütz ist auch ein Pilotprojekt in Sachen Theaterpädagogik: Schülerinnen und Schüler je einer Hauptschule und eines Gymnasiums haben die Entstehung der Inszenierung von Anfang an verfolgt und begleitet. Was alles notwendig ist, bis sich zu einer solchen Opernproduktion der Premierenvorhang hebt, wurde aufmerksam beobachtet. Exkursionen wurden unternommen, Diskussionen geführt – und vor allem wurden Schwellen- und Berührungsängste abgebaut, die gerade das junge Publikum dem vermeintlich verstaubten Genre Musiktheater und seinen Machern noch immer entgegenbringt. Entsprechend jung und neugierig war auch das Premierenpublikum – und offensichtlich mit dem, was auf der Bühne zu sehen und zu hören war, ganz zufrieden. Jedenfalls gab es rauschenden Beifall.

Christoph Schulte im Walde

 






 
Fotos: Klaus Fröhlich