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Fakten zur Aufführung 

CARDILLAC
(Paul Hindemith)
22. Januar 2011 (Premiere)

Oldenburgisches Staatstheater


Points of Honor                      

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Tödlicher Goldschmuck

Die Oldenburger Theatermacher spielen, weil das große Stammhaus renoviert wird, seit Beginn der laufenden Spielzeit auf dem Fliegerhorst, einem aufgelassenen militärischen Gelände. Die Halle 10 ist dort als Provisorium eingerichtet – und bietet Potenzial zu Inszenierungen, die unverwechselbar an diesen Ort gehören.

Hindemiths Cardillac ist eine solche Inszenierung, die mit wenig auskommt und doch viel sagt. Ein U-förmiges zweigeschossiges und drehbares Gerüst steht auf der nackten Bühne, herab hängen halbdurchlässige Vorhänge. Eine sehr wandlungsfähige Ausstattung, in erster Linie Cardillacs Atelier, in dem der von der feinen Gesellschaft so sehr begehrte Goldschmuck entsteht. Ein großer weißer und von innen beleuchteter Würfel symbolisiert das Material, die Quelle, aus dem die Wünsche Gestalt werden. Doch der Schmuck – ein kleiner, praktikabler, ebenfalls leuchtender Würfel als Teil des großen Ganzen - verweilt nicht lang beim neuen Besitzer, denn der wird ziemlich zeitnah ermordet. Ein Krimi, der ganz Paris aufschreckt. Wer ist der rätselhafte Mörder?

Cardillac, der Meister ist es, der es nicht übers Herz bringt, sich von seinen ureigensten Schöpfungen zu trennen. Sie sind ihm näher sogar als seine eigene Tochter, die er deren Verehrer deshalb auch ohne lange Umschweife zur Frau gibt. Ein Schmuckstück zur bevorstehenden Hochzeit? Mit diesem Wunsch begibt sich der zukünftige Schwiegersohn („der Offizier“) in tödliche Gefahr und zieht die Gewalt jenes tödlichen Messers auf sich, das Cardillac in seinem geradezu pathologischen Wahn auch hier funkeln lässt. Doch diesmal läuft nicht alles nach Plan, Cardillac wird als Serienmörder entlarvt, schließlich von der Menge, dem Volk, niedergestreckt. In Oldenburg mutiert der Täter zu einem Denkmal, das man auf einen Sockel stellt – und das ein wenig an eine Kreuzigungsgruppe (mit Johannes und Maria) erinnert.

Regisseur Sebastian Ukena konzentriert sich ganz auf die unterschiedlichen Figurenkonstellationen, bekommt Unterstützung von der kargen, aber umso mehr bezwingenden Bühne von Stephan Mannteuffel. Gedeckte Farben liefern Veronika Lindners passend hinzu erdachten Kostüme. Insgesamt also Sachlichkeit, wie sie schon Hindemith Musik von 1926 klar vorgibt. Die ist geprägt von großer Dichte – und Johannes Stert am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters bleibt diesem enormen Sog, der in Hindemiths Partitur steckt, nicht das Geringste schuldig. Die Ausdruckspalette reicht vom zarten lyrischen Streicher-Sordino über solistisches Holz bis zum von Blechbläsern gesättigten Tutti in größter Betriebsamkeit.

Den Sängerinnen und Sängern liefert Hindemith reiche Entfaltungsmöglichkeiten: sowohl solistisch als auch in wechselnden Ensembles. Nahezu alle Rollen sind fabelhaft besetzt: die der Titelfigur mit Peter Felix Bauer, einem durchsetzungsstarken Bariton, der vor Kraft und Selbstbewusstsein nur so strotzt. Mareke Freudenberg ist Cardillacs Tochter – eine Idealbesetzung, weil sie über genau das richtige Timbre verfügt, das leicht Mädchenhafte ihres Soprans herausstellt und Beweglichkeit zeigt für die großen Melismen. Vincent Wolfsteiner ist ein durch und durch glaubwürdiger Schwiegersohn in spe, der all seine Gefühlslagen schonungslos offenbart. Andrey Valiguras gibt mit markiger Stimme den Goldhändler, Daniel Ohlmann ist jener Kavalier, der als erstes Opfer dran glauben muss, weil er einer schönen Dame ein echt Cardillac’sches Schmuckstück organisiert. Valérie Suty ist diese schöne Dame, ausgestattet mit einem überaus kraftvollen Sopran, der indes oft kehlig und kloßig wirkt. Paul Brady übernimmt tadellos die Rolle des Anführers des Volkes. Eine gewichtige Rolle kommt dem Chor zu, der in gewaltigen Szenen die Handlung vorantreibt oder im Verein mit den Soli betrachtend kommentiert. Chor und der Extrachor sind von Thomas Bönisch auf das Beste vorbereitet und meistern ihre schwere Aufgabe mit großer Perfektion und Brillanz.

Die Halle 10 im Fliegerhorst überzeugt durch ihren sehr speziellen Charme, einer Industrieruine nicht unähnlich, wie man sie etwa aus dem Ruhrgebiet her kennt. Akustisch ist der Bau ganz vortrefflich präpariert worden – man hört perfekt. Das Premierenpublikum scheint diese Spielstätte voll akzeptiert zu haben: kaum ein Platz bleibt leer. Am Ende riesengroßer Beifall, der sich noch einmal rauschhaft steigert für das Regieteam. Mit Händen und Füßen wird applaudiert, so viel, wie man es doch eher selten erlebt.

Christoph Schulte im Walde

 











 
Fotos: Andreas J. Etter