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Fakten zur Aufführung 

DER RING DES NIBELUNGEN
(Richard Wagner)
17. - 28. Juni 2003


Theater Nürnberg




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Das Seil des Nibelungen

Richard Wagners Ring des Nibelungen, das ist Kult und KultTour de force für alle Beteiligten. Er ist Referenz an eine Zeit, von der man glaubt, dass über ästhetische Fragen so polarisierend gestritten wurde, wie heute über Steuerreform und Gesundheitsvorsorge. Ein Ringabend gibt noch einen Eindruck von diesen weltbewegenden Fragen, ist immer noch eine Standesangelegenheit und ein Insidertreffen. Gluckianer, Brahmsianer, Straussianer sind alle ausgestorbene Spezies, der Wagnerianer erfreut sich hingegen eines Methusalemalters. In keiner Oper suggerieren die Zuschauer solche Informiertheit, selten solche entschiedenen Einstellungen. Ein Ringapplaus ist immer noch ein kleiner Stellungskrieg. Regisseure müssen das wissen, denn der Ring ist das Lieblingsobjekt des Regietheaters, der Gipfelpunkt jeder Regielaufbahn.

Doch wie geht man mit der Informiertheit und den daraus resultierenden Erwartungen der Zuschauer um? Ignorieren? Herausfordern? Beleidigen? Erfüllen? So wartet mancher Regisseur des Rings auf ein Wunder; hofft auf die neue Sicht, das nie Dagewesene, nicht zuletzt deshalb, weil zu viel schon gewagt, gezeigt, gedacht wurde.

Die Nürnberger Inszenierung von Stephen Lawless (Bühne: Benoit Dugardyn, Kostüme: Ingeborg Bernerth) präsentiert sich als der Versuch einer Bewältigung dieses rezeptionsgeschichtlichen Balasts mittels seiner Ausbeutung. An allen Ecken und Enden leuchten Versatzstücke unterschiedlicher Sichtweisen: Da sind marxistische Deutungen mit Alberichs Kinderarbeitern, pop-art-verbrämte Grotesken mit Göttern in Hularöckchen, naturalistische Ansätze beinahe im Sinne einer Werktreue mit Frankensteinriesen und wabernd-schwimmenden doch schrecklich langweiligen Rheintöchtern.

Moderne antikapitalistische Endzeitszenarien werden beschworen, wenn Walhall zum Abbild des Ground Zero wird, Aussicht auf eine Zukunft: Fehlanzeige. Es poltern Wagnerversatzstücke mit Holländerschiff (mit dem die Götter gestrandet sind?) und Wotans blühendem Tannhäuserspeer. Kitschige Requisiten, der Stoffregenbogen Frohs, die leuchtenden Äpfel Freias, der Ring, der aus einem Kaugummiautomaten gezogen scheint, der blinkende Tarnhelm oder Wotans Ethnospeer generieren zudem ein Theater des Schnickschnacks.

Die Erwartungen der "Schicksalsmomente" (z.B. die erhobene Hand des leblosen Siegfried) erfüllt Lawless selten. An ihrer Stelle schafft er unbekümmert gewichtige Szenen ohne Einführung und Weiterleitung: Noch in den letzten Minuten der Götterdämmerung wird Hagen von seinen eigenen Mannen zurückgehalten, sich Siegfrieds Ring zu bemächtigen. Solch aussagekräftige Abkehr von der erwarteten Dramaturgie verlangt nach szenischer Erklärung. Was hat Hagen seinen Mannen getan, was fürchten sie, was sind die Voraussetzungen solchen Handelns und was die Konsequenzen? Die Antwort hätte eine Götterdämmerung inszenieren können.

Gleiches gilt für Siegmund und Sieglinde, die sich unbekümmert ausgerechnet nach Walhall flüchten. Wirken solche Szenen wie Verlegenheiten oder Launen der Regie, hat dieselbe die Kraft ihrer eigenen Dramaturgie vollkommen unterschätzt. Regie, die nicht rein illustrativ sein will, ist nur dann erfolgreich, wenn sie in bewusster Abkehr vom Erwarteten dem Zuschauer Neues zu zeigen, aber auch zu erklären in der Lage ist.

Lawless' Gesetzlosigkeit und Willfährigkeiten werden einzig durch einen verbindenden roten Faden zusammengehalten. Es ist ein rotes Seil, das im Sinne unendlicher Verweisung gleichermaßen Symbol und Reales verkörpert. Das vervielfachte, kreuz und quer über Walhall gespannte Seil steht für Wotans Seilschaften, seine Ränke und Verträge; zieht er an einem, kommen alle in Bewegung. Loge, der das Verhängnis vorausahnt, fesselt mit diesem Seil Wotan an den bestohlenen Alberich, er macht sie zu Schicksalsgenossen, die vor der Höhle Fafners den Flachmann miteinander leeren können. Mit dem Seil nimmt Hunding Sieglinde und Gunther Brünhilde an die Leine. Es gürtet Siegmund und Siegfried. Den (blinden) Nornen ist es Schicksalsseil und Orientierungshilfe. Die Möglichkeiten dieses Requisits sind endlos. Das Seil ist somit auch Dokument des Scheiterns, bindet die konzeptuelle Schmalbrüstigkeit zusammen, damit sie nicht auseinander bricht.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Sänger viel herumstehen oder stundenlang diffus hinter blau-grün-melierten Gazen lavieren. Die Götterdämmerung war das Prachtexemplar dieses unbeholfenen, an schrecklich theatralischen Operngesten krankenden Stehtheaters. Dabei bewies die Regie in der intimen und sehr anrührenden Schlussszene der Walküre zwischen Wotan und Brünhilde oder in den verzweifelten Gefühlen Siegfrieds vor seinem Mord an Ziehvater Mime, dass sie zur Darstellung unpathetischer, mitfühlend menschlicher Empfindungen in der Lage gewesen wäre.

Gerhard Siegel zeigte als junger Siegfried, Siegmund und Loge beeindruckend die Beweglichkeit eines Charaktertenors. Sein Loge benutzte alle Ausdrucksformen stimmlicher Äußerung: Er singt, spricht, schreit, bellt, quäkt, winselt und grunzt zu Gunsten einer plastischen aber stimmzehrenden Darstellung des züngelnden Feuergottes in Gockelgestalt. Dass seine Partie dabei mehr deklamatorisch geriet war absolut hinnehmbar. Als Siegmund gelang ihm im ersten Akt der Walküre durchaus die Wendung zum heldischen Tenor, wenngleich ohne den schönen Schmelz. Nachfolgend und als junger, von der Regie infantil gewollter Siegfried neben Buchhaltertyp Mime, bediente er sich wieder verstärkt seiner deklamatorisch durchdringenden Charakterstimme. John Treleavens Stimme, cantabler geführt als die Siegels, war nicht tragfähig genug um schließlich als reifer Siegfried über das Orchester zu scheinen.

Iréne Theorin bewies als Sieglinde und Brünhilde (in Siegfried) Höchstform. Mit einem einzigen Ton ihrer hochdramatischen Wagnerstimme hätte sie jeden der Götter vom Platz fegen können. Man hätte sie sich auch in der Götterdämmerung gewünscht, denn Frances Ginzer brachte kurzatmig nur stets crescendierend gleissende Spitzentöne hervor, verblasste in der Mittellage und klang bei engen Vokalen unangenehm schneidend. Nadine Secunde (Brünhilde in Walküre) ähnelte ihr in der Vokalfärbung, war jedoch trotz angeschliffener Töne die ausdruckstärkere, charaktervollere Sängerin, die ihrem inszenierten Görenimage gerecht und entsprechend bejubelt wurde.

Wotan ist ein schwächelnder Gott, als Rolle wie in sängerischer Umsetzung durch Ron Peo. Robust noch im Rheingold, allerdings mit deutlichem Defizit in der stimmlichen Tiefe und im Volumen, schwächelte er in der Walküre bedenklich und überlebte nur Dank seiner auf Deklamation und Zurückhaltung angelegten Darstellung. Sein Schicksalsgenosse Alberich (Johann Werner Prein) drohte seinen Kontrahenten nicht selten an stimmlicher Präsenz und bärbeißiger Wucht zu überflügeln.

Bleiben die Oscars für die Nebenrollen: einer geht an Andrea Baker, vibratoreich, metallisch war sie eine aufgekratzt verzweifelte Waltraute. Der zweite geht an Renee Morloc für eine schmeichelnde, sinnliche Darstellung einer durchtriebenen Fricka (Walküre). Den dritten erhält der sehr dunkle Mezzo von Marina Proudenskaja für ihre Erda im Rheingold. So erotisch kann eine Hochschwangere sein.

Das Stadttheater Nürnberg schenkte sich also zu seiner Abschaffung den kompletten "Ring des Nibelungen". Doch wie in Wagners Tetralogie, so ist auch in Nürnberg das Ende ein Anfang und um die nervösen Gemüter zu beruhigen, diese finale Großtat markiert den Sprung zum Staatstheater Nürnberg. Es wäre eine verständliche Geschichtsverfälschung, wenn in einigen Jahren der musikalische Part des Rings 2003 unter Philippe Auguin als Feuertaufe des Staatstheaters gelten würde. Als sich der Vorhang nach der Götterdämmerung auftat, um den Blick auf das versammelte Orchester und den Dirigenten freizugeben, da ging ein nur ganz selten erlebtes Applaus- und Bravogewitter nieder, das die Zuhörer von der zweiten bis zur siebenten Kategorie begeistert aus den Sitzen springen ließ.

GMD Philippe Auguin hatte vom verstörend pastellfarbenen Beginn des Rheingoldes, über die betörende Liebesmusik des Siegfriedfinales bis zum donnernden Trauermarsch der Götterdämmerung ein vierteiliges Wunder vollbracht. Ein Maßstab für alle Nürnberger Zeiten. (tv)

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Fotos: © Karl Forster