Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE REISE NACH REIMS
(Gioacchino Rossini)
12. Februar 2011 (Premiere)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

Hörversion

Wenn Sie auf die erste Taste klicken, hören Sie die gesprochene Version der Besprechung und Ausschnitte aus der Aufführung.

 

zurück       Leserbrief

Am Ende: die Wut

Rossinis Il Viaggio a Reims ist eine musikalische Glosse über den dekadenten europäischen Adel: Man trifft sich auf der Anreise zur Krönung Karls des X. in Reims, bleibt in einem Hotel hängen – und lebt seine exaltierten Gewohnheiten aus.
In Nürnberg verlegt die phantasievoll-geniale Laura Scozzi das Geschehen in den Sitz des Europarats nach Brüssel. Und da treffen sie aufeinander – die Eurokraten, die Sarkozys, Merkels, Berlusconis, Putins und die Queen: lustvoll karikiert, mit Masken ausgestattet, im hektischen Tohuwabohu auf der Stelle!
Laura Scozzi parodiert die ritualisierten Kommunikationsformen, zeigt Ansprachen, Talkshows, Arbeitsgruppen – in Selbstdarstellungen, Publikumsreaktionen, gespielten Kontroversen.
Barbara de Limburg baut eine „Europa-Bühne“ mit Flaggen, Konferenz-Gestühl und Nischen für das „Hintergrund-Geschehen“ – das alles in schrillen Farben, mit viel Raum für turbulentes Treiben, in dem auch ein Zauberer seine subtil-kalkulierte Rolle spielt!
Man sitzt da im neoklassizistischen Nürnberger Opernhaus und fragt sich mehr als zwei Stunden lang: Sind diese real existierenden Polit-Darsteller nichts anderes als dankbare Figuren zur Illustration einer an Melodien emotional überschäumenden Musik? Aber dann der knallharte Schluss: Da sitzen Sarkozy und Madame Bruni auf ihrem Show-Thron, da tauchen Demonstranten auf, werden von vermummten Schergen niedergeknüppelt. Da ist sie: Die verzweifelte Wut auf die unernsten und korrumpierten Selbstdarsteller als unfähige Steuerleute in kritischen Zeiten!
Im Nürnberger Publikum bricht am Ende ein Orkan von Jubel und Protest los: zwar nur zehn Minuten lang, aber sehr heftig: Wie immer gibt es die militanten „Rossini-Kenner“ – aber auch (mehrheitlich!) die Verfechter „kritisch-aktuellen“ Musiktheaters, ganz zu schweigen von den Bewunderern eines hinreißenden „Bühnen-Zaubers“!
Den vermittelt ein sensationell engagiertes Nürnberger Sänger-Darsteller-Ensemble: hoch motiviert, darstellerisch bis an die Grenzen der Selbstentäußerung gehend, stimmlich die Rossini-Tempi, -Koloraturen und –Extravaganzen souverän auskostend: Sie alle haben ihre „Auftritte“, nutzen sie zu verblüffendem Chargieren, brillieren als skurril-bösartige Charaktere - und glänzen mit beeindruckendem Belcanto-Gesang: Hrachuhí Bassénz in souveräner Statur, Anna Lapkovskaja als gerissene Interessenvertreterin, Leah Gordon als glamouröse Figur, Heidi Elisabeth Meier mit viel Komik, Tilman Lichdi als eloquenter Offizier, Martin Nyvall als sturer Russe, Kurt Schober als affektierter Brite, Vladislav Solodyagin als geschäftiger Deutscher, Nicolai Karnolsky als allwissender Arzt - Daeyoung Kim: ein großartiger Don Profondo, Andrew Finden: sehens- und hörenswert als Alvaro; und dann noch Luzuko Mahlaba , You Mi Han, Melanie Hirsch, Joanna Limanska-Pajak und Rüdiger Krehbiel: Ein Ensemble ohne Ausfall, perfekt in Spiel und Gesang!
Großartig der Chor des Staatstheaters Nürnberg: Auf den Punkt kollektiv in action, mit wunderbaren Klang-Impressionen (Leitung Edgar Hykel)!
Philipp Pointner leitet die variabel aufspielenden Nürnberger Philharmoniker zu einem „interpretierenden“ Rossini-Klang – keine „absolute Musik“, sondern permanent auf Höhe mit dem skurrilen Bühnengeschehen – und stets in Übereinstimmung von differenziertem Orchesterklang und virtuosem Gesang; bisweilen allerdings fehlt die schwebende Frivolität der Rossini-Imagination sowie der Scozzi-Turbulenzen.
Ein spektakulärer Abend – der sowohl Rossinis musikalischem Spott als auch dem nur noch ironisierend zu ertragenden Zustand politischen Handelns gerecht wird!
Wenn es einigen lautstark grölenden Nürnberger Traditionalisten auch nicht gefallen mag: Ihr Opernhaus wird mit solchen aufmüpfigen Aufführungen zum Focus avancierten aktuellen Musiktheaters!

Franz R. Stuke

 











Fotos: © Ludwig Ohla