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Ein Alptraum vom Menschsein
Utopien haben auf der Opernbühne keine Konjunktur. Weder die Völkerverständigung
in Mozarts "Entführung", noch die Errichtung einer besseren Welt in Wagners
"Götterdämmerung" trauen sich Regisseure ungebrochen zu zeigen. In Nürnberg
entbindet Bruno Klimek auch Janáceks Jenufa des Ausblicks auf eine glückliche
Zukunft mit ihrem Laca - im strahlenden C-Dur-Finale wird wie zum Hohn
einander niemals zugewandt gesungen.
Das Pessimistische, an Janáceks Intentionen vorbeigehende Ende ist konsequent
vorbereitet. Klimek löst "Jenufa" aus ihrem naturalistischen Zusammenhang
und setzt sie in einen leeren Raum zwischen "Himmel und Hölle" (Bühne:
Hermann Feuchter).
Die Bühne, deren mahagonifurnierte Wände und bewegliche Decke sich zu
einem schließbaren Horizont verjüngen, wird von einer silbernen Wendeltreppe
durchbohrt. Wie Janácek den Klang des Xylophons setzt Klimek die Drehung
der Treppe eindrucksvoll ein, um Ausweglosigkeit darzustellen. Das abstrakte
Umfeld vernebelt die Handlungsmotivation der Personen und erlaubt ihnen
keine erkennbare Entwicklung. Es entsteht ein Theater der befremdlichen,
wiederkehrenden Bilder: Es zeigt Jenufa, die versucht, sich mit einem
Messer zu verstümmeln, das Kind aus dem Bauch zu schneiden und die Küsterin,
die es ihr im 3. Akt gleich tut.
Stewa ist ein ewig farbloser Säufer und Laca ein Schwächling, der häufig
vor Jenufas Füßen kriecht. Die Buryja im Rollstuhl ist eine immerzu debil
im Viereck fahrende Belastung. Klimek zeigt ausschließlich erniedrigte,
verrückte, verkommene Gestalten. Ein Irrenhaus, das erschüttert, doch
nicht anrührt. Sollten wir glauben, dass Jenufas Geschichte heute unglaubwürdig
geworden ist und deshalb zu einem Menschseinsalptraum verallgemeinert
werden muss?
Die Regie machte sich stimmig in der musikalischen Interpretation hörbar.
Grell, scharf, in den Chorszenen geradezu grotesk überzeichnet peitschte
Fabrizio Ventura die Musik vorwärts und schrammte damit die Eindimensionalität.
Clarry Barthas Küsterin bediente sich vieler Facetten menschlichen Gesangs.
Um die vielschichtige Figur darzustellen, scheute sie auch den groben
Ton, die hauchige Mittellage und gleißende Höhen neben beglückend feinen
Tonansätzen in ihrem großen Monolog im 2. Akt, nicht. Dagegen blieb die
Jenufa Carole Fitzpatricks blass. Ihr Sopran, der trotz reichen Vibratos
noch jung und eher schlank klingt, vermochte sich in tieferen Lagen auch
trotz deutscher Sprache nicht gegen das zu laute Orchester durchzusetzen.
Damit hatten Gerhard Siegel (Laca), der sich mit ein wenig Knödel und
viel Kraft um die Erkältung sang, und der Tenor von Jón Rúnar Arason (Stewa)
keine Probleme.
Das klatschfreudige Publikum kommentierte die Regie mit einiger Unruhe
zwischen euphorischen Bravos und mutigen Buhs und warf viele Blumen zu
Füßen der Kindsmörderin. (tv) |
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