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Fakten zur Aufführung 

DIALOGUES DES CARMELITES
(Francis Poulenc)
16. April 2005 (Premiere)

Staatstheater Nürnberg

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Düsterer Schocker

In Francis Poulencs Oper „Die Dialoge der Karmeliterinnen“, die am Samstag in einer ergreifenden Regie von Andrea Raabe am Staatstheater Nürnberg Premiere hatte, geht es hauptsächlich um zwei Themen: Angst und falsches Heldentum. Von letzterem werden vor allem gebildete Menschen angeleitet, welche die Idee des eigenen Opfers gewissermaßen intellektuell verbrämt haben und ein zweifelhaftes bewusstes Märtyrertum suchen.

Vielleicht wurde Poulencs 1957 an der Scala uraufgeführte Oper in den letzten Jahren deshalb populär, weil sie die Selbsthingabe an eine religiöse Idee thematisiert, die säkulare Menschen vor Rätsel stellt. Dabei erteilt der Komponist bewusstem Martyrium eine Absage, indem er Schwester Marie, die fanatisch den eigenen Opfertod wünscht, vor der Guillotine verschont. Dafür stirbt die zögerliche und ängstliche Blanche zusammen mit den anderen Schwestern. Und im Gegensatz zu jeder Idee von großem Heldentum und Fanatismus wirkt sie im dramatischsten Moment ihres Lebens, da sie als letzte der Nonnen singend aufs Schafott steigt, mit sich und der Welt im Einklang.

Andrea Raabe hat es geschafft, aus den Sängern echte Schauspieler zu machen. Das schockierende Sterben der alten Priorin, der Hochmut der Schwester Marie und die kränkliche Natur von Blanche sind bemerkenswert umgesetzt. Dabei geht Raabe den Mittelweg zwischen Abstraktion und Realismus. Dennoch ist ein Mitleiden möglich und so gefriert dem Zuschauer im Angesicht der einzig mit Licht und Ton dargestellten Exekution der Nonnen das Blut in den Adern. Die Bühne (Tobias Dinslage) wird in suggestives Licht (Olaf Lundt) getaucht, das einen immensen Anteil an der überwältigenden Wirkung der Oper hat. Fast kein Requisit stört den nur anfangs als leer empfundenen Raum mit seinen von einem quadratischen Raster überlagerten weißen Wänden und bündelt die Aufmerksamkeit auf den Gesichtern und Gesten der starken, genau charakterisierten Frauen. Übergroße Nonnenhabite überwuchern diese verletzlichen menschlichen Wesen und ziehen sie wie das Schicksal fast zu Boden.

Heftig erregt, packend und in den leisen Stellen manchmal etwas zu laut lässt Philipp Pointner die Nürnberger Philharmoniker spielen, als ob der Verismo Pate der neoklassizistischen Musik gewesen wäre. Auch die Sänger setzen gewaltige Energien frei. Mal schattenhaft, mal furiengleich klingt der großartige Mezzosopran von Marina Prudenskaya als Marie. Grandios, mit Ausdrucksformen von Singen bis zum abgründigen Röcheln gestaltet Teresa Erbe die Partie der sterbenden Pirorin. Einen totalen Gegenpart bildet Carole FitzPatricks weiche, Zuversicht spendende Darstellung ihrer Nachfolgerin. Zart und im Laufe der Oper immer strahlender präsentiert sich auch die Blanche Sabina von Walthers. Quicklebendig und mädchenhaft begleitet sie Siphiwe McKenzie als ihre Novizinnengefährtin Constance.

Nach den letzten zerbrechlichen Klängen der Musik, brauchte es eine Weile, bis das Publikum seinen Schock überwand. Dafür machte sich danach umso stärkerer Applaus breit. Dass es die meisten Bravi für das Regieteam gab, erlebt man in unseren Opernhäusern leider allzu selten. (tv)


Fotos: © Marion Bührle