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Fakten zur Aufführung 

BENVENUTO CELLINI
(Hector Berlioz)
10. Januar 2009
(Premiere: 18. Oktober 2008)

Staatstheater Nürnberg


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Lustvolle Demontage

Dieser skandalumwitterte Cellini ist kein zweiter Caravaggio. Sein eher zwielichtiges Renaissance-Leben wird bei Hector Berlioz zur opera comique – und in Nürnberg macht ihn Laura Scozzi zur schillernden Zentralfigur eines nur satirisch zu ertragenden Showbizz. Was diese kreative Regisseurin an Turbulenz, Slapstick, Situationskomik mit hintergründigem Humor und genialem Witz auf die Bühne bringt, ist ein Feuerwerk von aberwitziger Karikatur und bissiger Ironie, wie es das auf deutschen Opern-Bühnen seit den Hoch-Zeiten John Dews nicht mehr gegeben hat! Die Pariser Choreografin Laura Scozzi versetzt die Bühne in permanente Turbulenz, bringt den durchgeknallten Superstar Cellini je länger desto mehr in die Nähe der von Gerard Depardieu gespielten großmäuligen Brachial-Helden, karikiert die Unterhaltungs-Industrie mit ihren halbseidenen Protagonisten und verweist permanent auf den Unernst kommerzieller Pseudo-Kunst. Da wird der stumme Sänger gefeiert, da entsteht im Finale die legendäre Perseus-Statue aus verbrannten Kunstwerken von der Voltaire-Büste bis zur Nana Niki de Saint Phalles - und der schamlos abgedriftete Cellini erhebt sich auf erhebendem Podest über die wild kreischende Schar der hemmungslosen Groupies!

Das alles inszeniert Laura Scozzi mit faszinierendem Fokus auf die handelnden Figuren – auf eine unbegriffen-liebende Teresa, einen verklemmt funktionierenden „Agenten“ Balducci, einen skrupellos PR-süchtigen Papst Clemens, einen skurril-agierenden Konkurrenten Fieramosca, einen subaltern-frivolen Lehrling Ascanio und einen brachial-pfiffigen „Mörder“ Pompeo.

Es gelingt eine Anti-Show – aber ganz ohne kulturkritischen Zeigefinger, dafür in hinreißender Übereinstimmung mit der revolutionären Berlioz-Musik, mit dem durchaus kritischen Libretto, mit der historischen Vorgabe, sogar mit dem antiken Perseus-Vorbild mit dem Medusa-Kopf!

Die brillanten Sänger-Darsteller lassen sich auf diese frivolen Vorgaben lustvoll ein: Hrachuhí Bassénz ist eine faszinierend zickige Teresa (mit Nana Mouskouri-Brille) – singt die irrsinnig komplexen Berlioz-Anforderungen mit höchster Souveränität. Rainer Zaun gibt dem geizigen Schatzmeister und ehrpusseligen Vater Balducci skurrile Statur mit wandlungsfähigem Bariton. Melih Tepretmez stellt einen etabliert-gescheiterten Künstler Fieramosca dar, variiert seine kraftvolle Stimme im Sinn eines „schrägen“ Vortrags. Guido Jentjens verfügt über die wunderbare Kompetenz, sein sonores Timbre für eine kurios-verfremdete Papst-Karikatur einzusetzen. Jordanka Milkova brilliert mit ausdrucksstark-agilem Sopran als Ascanio - und Jean-Francis Monvoisin ist ein pseudo-promihaft wirbelnder Cellini mit der irritierenden Ausstrahlung des gemachten und selbsternannten Superstars, stimmlich präsent, aber in den exaltierten Passagen nicht ohne Probleme in der offenen Intonation.

Die weiteren Rollen sind kompetent besetzt, der Chor agiert mit beispielhafter Spielfreude und singt in wechselnden Konstellationen mit nachhaltiger Durchschlagskraft!

Weshalb der Berlioz-Komposition von 1838 der Mythos der Erfindung moderner Musik anhaftet, wird durch die engagierte Interpretation der Nürnberger Symphoniker unter Christian Reuter deutlich: Da geht es an die Grenzen der Tonalität, da toben die Instrumente im exaltierten Rausch, da brechen sich Piano-Passagen mit eruptiven Crescendi, da wechseln hemmungslose Tutti mit subtilen Instrumenten-Soli - nur gerät dieser stimulierende orchestrale Furor bisweilen in Konflikt mit den Solisten auf der Bühne.

Optisch stimuliert die fantastisch-symbolreiche Bühne von Barbara de Limburg das unwiderstehliche Faszinosum des satirischen Spiels: Eine assoziationsreiche Welt von differenten Sockeln, Türen, Fenstern, Kunstgegenständen und Alltags-Geräten – situativ variabel, kommunikativ vielfältig - ein luxuriöses Überangebot an optischen Stimulantien. Großartig wie die fantasievoll-assoziativen Kostüme Jean-Jacques Delmottes.

In Nürnberg ist die spektakuläre Produktion für viele Opern-Fans zum Kult geworden – doch gibt es beim traditionsorientierten Publikum des Staatstheaters offensichtlich Vorbehalte gegenüber unkonventionell-innovativem Musiktheater. Für viele ist offensichtlich die 150 Jahre alte Musik Berlioz’ zu „modern“, anderen will die lustvolle Demontage des Show-Stars nicht eingehen, wieder anderen ist zu viel „Action“ auf der Bühne - aber im Haus macht sich zustimmende Begeisterung breit; Szenenapplaus und begeisterter Schluss-Beifall feiern das turbulente Geschehen leidenschaftlich. Auch in Nürnberg wird sich die Zustimmung zu „neuen“ Formen des Musiktheaters durchsetzen. (frs)
 






 
Fotos: Staatstheater Nürnberg