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Fakten zur Aufführung 

RINALDO
(Georg Friedrich Händel)
30. August 2009 (Premiere)

Städtische Bühnen Münster


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Liebe in Zeiten des Krieges

Neun Meter hoch ragt der Beton zwischen Israel und Palästina in den Himmel, Ausdruck tiefsten Misstrauens, ja zementierter Feindschaft zwischen den beiden Völkern. Ganz so grausam hoch ist die Mauer auf der Drehbühne in Münster nicht, aber auch hier geht es um den Konflikt zwischen Orient und Okzident, um Einfluss, Macht und Kontrolle. Ein Stoff, aus dem Georg Friedrich Händel, als junger Mann gerade frisch in London angekommen, 1711 eine Oper machte: Rinaldo, seine erste unüberseh- und unüberhörbare Duftmarke im boomenden Theatergeschäft jener Tage. Eine zeitlose Geschichte vom Kampf der Kulturen, die Regisseur Fred Berndt behutsam ins Hier und Jetzt geholt hat.

Die einen sitzen dick und fett auf Ölfässern – die anderen haben genau darauf ihre begehrlichen Augen geworfen. Dies eine Deutungsmöglichkeit dieser Inszenierung. Kriegslüstern sind beide Parteien, entsprechend wird aufgerüstet, geplant, taktiert. General Goffredo macht sich auf einem Schachbrett Gedanken um die Aufteilung seiner eigenen und die Vernichtung der feindlichen Waffen. Aber um eine Schlacht, um die Gier nach Ressourcen geht es eigentlich gar nicht so sehr. Stattdessen um Liebe, was sonst. Um Rinaldos Liebe zu Almirena. Rinaldo ist der Held der christlichen Truppe, die Jerusalem erfolgreich den Sarazenen entrissen hat. Zur Belohnung soll er Almirena, die Tochter seines Chefs Goffredo zur Frau bekommen. Doch dies erst ganz am Ende. Denn vorher wird man noch Zeuge einer frechen Entführung der ersehnten Braut. Almirena gerät in die Fänge der Feinde, vor allem des fiesen Argante, dem unterlegenen König von Jerusalem.

Neben diesem Entführungskrimi hält Händels Oper ganz viel von dem bereit, was damals im King’s Theatre am Londoner Haymarket der absolute Hit war: Bühnenzauber. Rinaldo ist Spektakel mit rasanten Stimmungsumschwüngen, mit Knalleffekten, mit viel Hokuspokus. Und da macht Fred Berndt mit. Es donnert, es blitzt, ein Orkan zieht herauf, viel Pyrotechnik kommt zum Einsatz, die Zauberin zaubert, der christliche Weise macht dampfende Nebel. Und in der Wüste, mitten auf dem Weg zum weisen Magier, diese schwer verkraftbare Fata Morgana: ein frisch gezapftes Pils!

Rinaldo lebt auch in Berndts etwas klischeehaft angelegter Inszenierung von Händels großartiger Musik. Hut ab vor den Mitgliedern des Sinfonieorchesters Münster. Die fühlen sich enorm sensibel ein in diese Klangwelt. Michael Schneider, Gast am Dirigentenpult und reich an Erfahrung auf diesem Gebiet, hat offensichtlich sehr akribisch gearbeitet. Heraus kommt eine dynamisch sehr flexible Musik, vital und äußerst farbig ausgestaltet. Hier sprüht sie unbändig, vielleicht noch nicht ganz mit der größtmöglichen Brillanz - dort fällt sie in bodenlose Trauertiefe. Das ist ein beachtliches Niveau, auf dem die Musikerinnen und Musiker da spielen. Auch ausgezeichnete Soli von Oboe, Blockflöten, Fagott und Laute lassen aufhorchen, ebenso die gediegene Continuo-Gruppe rund um Cembalist Gregor Hollmann. Nicht ganz ohne Kiekser, dennoch bravourös meistern die vier Barocktrompeten ihre Partien. Alles in allem hört man einen Klang, der gegenüber dem ersten Barock-Experiment von vor zwei Jahren, als Henry Purcells King Arthur aufgeführt wurde, deutlich an Professionalität gewonnen hat.

Diese musikalische Qualität findet sich nicht durchgängig im Solistenensemble wieder. Judith Gennrich in der Titelpartie nimmt mutig die Herausforderungen an, setzt mit gestochen scharfem Staccato gelenkig ihre Koloraturen. Rinaldos Chef General Goffredo ist der Star dieser Produktion: Dmitry Egorov präsentiert einen kernigen Countertenor von lupenreiner Intonation, wunderschön dunklem Timbre, großer Ausstrahlung und darstellerischer Präsenz. Ganz abgesehen davon nimmt er die Koloraturen wie selbstverständlich und mit Bravour. Ihm gegenüber hat Counter-Kollege Alon Harari als Eustazio das Nachsehen, eine eher kleinere und über weite Strecken deutlich zu tief intonierende Stimme. Auch Matteo Suk als Jerusalem-Besatzer Argante ist keine Idealbesetzung. Koloraturen sind seine Sache nicht, und zwischen Händel, Verdi und Strauss sieht er offensichtlich ebenso wenig Unterschied wie Plamen Hidjov, der als weißgewandeter christlicher Magier räsoniert.

Sehr ordentlich meistern Henrike Jacob als Almirena und Annette Johansson als Armida ihre ziemlich heiklen und äußerst anspruchsvollen Partien. Aber wirklich in Ohnmacht gefallen wären Händels Londoner Stimmfetischisten im Jahre 1711 da wohl auch nicht. Den letzten betörenden Funken ließ die gefangene Almirena in „Lascia ch’io pianga“ vermissen. Da ging Armidas ergreifende Liebesklage „Ah, crudele“ schon viel eher unter die Haut.

Am Ende der Geschichte steht die große Versöhnung: Die Liebenden sind vereint, die Orientalen werden Christen. In der Hitze dieser Nacht hätte nur eines gefehlt: ein kühles, frisch gezapftes Pils für alle.

Wenig bekannt dürfte sein, dass sich Münsters Stadttheater schon kurz nach Beginn der ab dem Jahr 1922 einsetzenden Händel-Renaissance um das Oeuvre des Meisters bemühte. Es waren der damalige Generalmusikdirektor Rudolf Schulz-Dornburg, der Tänzer Kurt Jooss und der Bühnenbildner Hein Heckroth, die expressionistisch-monumentale Händel-Oratorien auf die Bühne brachten: Theodora, Herakles, Alexander Balus. Mit diesen nach Berichten von Zeitzeugen wohl offensichtlich sensationellen Inszenierungen mauserte sich Münster neben Göttingen zu einem der wichtigsten Orte, an denen Händels Oeuvre wieder neu entdeckt wurde. 1926 wurde das „Erste Händel-Fest der deutschen Händelgesellschaft“ in Münster durchgeführt, der Hamburger Musikkritiker Ferdinand Pfohl bezeichnete Münster nach der Theodora-Produktion als „die bemerkenswerteste Kunststätte Deutschlands, ja vielleicht Europas“. Um dergleichen Lob wieder neu zu erheischen, müssen die Städtischen Bühnen denn doch noch einiges tun...

Christoph Schulte im Walde

 








 
Fotos: Michael Hörnschemeyer