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Fakten zur Aufführung 

LULU
(Alban Berg)
31. Januar 2010 (Premiere)

Städtische Bühnen Münster


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Der Engel

„Lulu, mein Engel“ – diese Worte kommen der Gräfin Geschwitz über die Lippen. Sie können nur aus ihrem Munde kommen – und dies am jähen Ende eines Lebens, das für Lulu ganz oben begann und nach ganz unten in den Abgrund führte. Ihr Engel war Lulu für die vorbehaltlos Liebende Geschwitz in allen Lebenssituationen, die Alban Berg in seiner Oper nach Frank Wedekinds Dramen-Vorlagen ausbreitete.

Begehrt wird Lulu von allen möglichen Männern. Der erste ist der Maler, Lulu sein Modell, ein durch und durch püppchenhaftes. Doch diese bezopfte Göre lässt Regisseur Ernö Weil schon im nächsten Bild ganz schnell zu einer selbstbewussten Frau werden, inzwischen verheiratet mit dem Maler und wissend darum, dass sie es ist, die dem Gatten zum Karrieresprung verholfen hat. Als Dr. Schön auftaucht und dem Maler offenbart, er habe schon seit Jahren ein Verhältnis mit Lulu, setzt dieser seinem Leben ein Ende. Nach dem Herrn Medizinalrat, der einer Herzattacke erliegt, ist der Maler das Opfer Nummer Zwei. Lulu zeigt sich diesem Suizid gegenüber gleichgültig.

Opfer Nummer Drei ist die Verlobte von Dr. Schön, der ihr unter Lulus Druck den Laufpass gibt, geben muss. Doch auch dies keine Garantie für den Bestand einer kurz darauf geschlossenen bürgerlichen Ehe zwischen Dr. Schön und Lulu. Schöns Sohn Alwa, der Athlet, ein Gymnasiast, ein afrikanischer Prinz – alle verfallen der Ausstrahlung Lulus. Wer sich von ihnen nicht umbringt, hat allen Grund zu tiefen Rachegelüsten. Weil Lulu sich nicht besitzen lassen will, von niemandem. Ein paar Revolverkugeln – und der eifersüchtige Dr. Schön verblutet auf seinem eigenen Sofa. Für Lulu beginnt das Leben auf der Flucht. Paris verheißt pekuniäres Glück, aber nur sehr vorübergehend bis die Börse crasht. London ist Endstation. Lulu, der alte Schigolch und Alwa, die ihr gefolgt sind, hausen dort in einer Dachkaschemme, in der Lulu „anschaffen“ geht. Auch die Geschwitz steht eines Tages vor der Tür: „Lulu, mein Engel“ sind ihre Worte, kurz bevor Jack the Ripper der Angebeteten ein Messer in den Körper jagt.

Ernö Weil erzählt Lulus Geschichte schnörkellos, hält sich eng ans Libretto und legt auf die individuelle Ausgestaltung der Charaktere weniger Gewicht als auf den Fluss der Handlung. Daniel Dvořák entwirft in einem rechteckigen Kubus diverse Spielstätten: Maleratelier, Künstlergarderobe, Wohnzimmer, Pariser Salon, schließlich finsteres Verlies. Das ist gewiss sehr praktikabel, aber nicht unbedingt fantasievoll und optisch ansprechend. Auch wirken seine Räume eng. Gefordert sind in dieser Inszenierung die Sängerdarsteller, die aus den Figuren echte und glaubwürdige Menschen zu kreieren haben. Olaf Plassa als Dr. Schön mag von der Regie als bieder, grau und eindimensional angelegt sein – so jedenfalls wirkt seine Darstellung. Wolfgang Schwaninger als Alwa glüht mit intensivem, in den Höhen forciertem Tenor vor allem im dritten Akt, Johannes Schwärsky gibt mit überaus raumgreifender, dabei etwas kehliger Stimme den Athleten und eingangs den Tierbändiger. Der naive Gymnasiast ist mit Judith Gennrich stimmlich wie darstellerisch idealtypisch besetzt. Das gilt ebenso für Suzanne McLeod, die schon in der letzten münsterschen Lulu-Inszenierung von 1996 die Geschwitz sang – und auch jetzt ein starkes Portrait zeichnet, dabei die stimmlichen Herausforderungen bis hinein in höchste Mezzo-Höhen spielend bewältigt. Donald Rutherford, wie McLeod ein Urgestein der Städtischen Bühnen Münster und ebenfalls vor vierzehn Jahren schon mit dabei, ist abermals als Schigolch eine Bank.

Überraschend am Premierenabend, wie Henrike Jacob die Titelpartie meistert. Die Lulu ist ja beileibe kein Leichtgewicht, im Gegenteil. Zwischen niedlicher Kindfrau und der eiskalt Mordenden changiert ihre Partie, mal nüchtern deklamierend, mal große Melismen aufspannend. Beides gelingt der Sopranistin auf bemerkenswerte, ja berückende Weise. Jacobs Stimme ist nicht übermäßig groß, doch sie hat einen konzentrierten Strahl, der sich dem Orchester gegenüber fast immer durchsetzen kann. Fabrizio Ventura am Pult des Sinfonieorchesters Münster beweist große Ruhe, hat hin und wieder Schwierigkeiten, den hoch komplexen Orchesterklang rhythmisch akkurat zusammen zu halten, liefert in den Zwischenspielen jedoch einen süffigen, klar an Mahler erinnernden sinfonischen Ton.

Das Premierenpublikum bleibt dem anspruchsvollen und musikalisch nicht eben leicht nachzuvollziehenden Werk treu bis zum Ende – und ist ganz aus dem Häuschen.

Christoph Schulte im Walde

 






 
Fotos: Michael Hörnschemeyer