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Fakten zur Aufführung 

BRUNDIBAR
(Hans Krása)
9. November 2008 (Premiere)

Städtische Bühnen Münster


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Gemeinsam sind wir stark

Brundibár – das ist Tschechisch und bedeutet im Deutschen „Hummel“. Wobei die Tschechen mit diesem Begriff gern auch mal einen mürrischen, griesgrämigen Typen bezeichnen. Genau solch einer macht zwei Kindern das Leben schwer: Pepíček und Aninka. Die beiden stehen derzeit auf der Bühne des Kleinen Hauses der Städtischen Bühnen in Münster und betteln um ein paar Münzen. Ihre Mutter ist krank und braucht unbedingt ein, zwei Liter frische Milch. Weil das Geld dazu fehlt, fangen die beiden Stöppkes an zu singen. Mitten auf dem Marktplatz. Das ist zwar rührend, doch Brundibár, dieser halbe Riese mit seinem großen Leierkasten stiehlt ihnen und ihren dünnen Stimmchen ganz klar die Show.

Hans Krása hat diese Geschichte vertont – für einen Wettbewerb Anno 1939, der aufgrund der politischen Ereignisse der Zeit nicht realisiert werden konnte. Krásas Stück kam dann vier Jahre später zur Uraufführung, an einem Ort, der ihm eine ganz besondere Bedeutung gab: im Konzentrationslager Terezín, das als Theresienstadt traurige Berühmtheit erlangte. Zigtausende Juden sind dort interniert und von dort aus in die Gaskammern geschickt worden, hier zog Hitler seine perfide Show ab und suggerierte der internationalen Öffentlichkeit, den Juden in Deutschland ginge es doch gut. „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ hieß der entsprechende Propaganda-Streifen, in dem Revue und Chansons, Kabarett und Oper - eben auch Krásas Brundibár instrumentalisiert wurde.

Tatsächlich ist Brundibár ein Fanal für Menschlichkeit, für Solidarität der Schwachen, der Entrechteten. „Gemeinsam sind wir stark“ – wer wie die Kinder auf dem Marktplatz diese Gewissheit Realität werden lässt, verschafft sich Gehör. Ganz buchstäblich: Pepíček und Aninka, indem sie Verstärkung bekommen, erreichen ihre Lieder unüberhörbar die Leute. Und die Mütze ist auf einmal voller Geld für die Milch.

Der münstersche Brundibár ist ein rundherum gelungenes, stellenweise unter die Haut gehendes Gemeinschaftsprojekt der Kinder- und Jugendchöre am Paulusdom zu Münster (Einstudierung: Domkapellmeister Andreas Bollendorf), der Westfälischen Schule für Musik und der Städtischen Bühnen. Jan Sturmius Becker (Regie) und Jacqueline Schienbein (Ausstattung) arrangieren das bunte, märchenhafte Treiben, in dem Katze, Hund und Spatz das kollektiv-solidarische Singen organisieren. Die Opernbühne ist voll hoch motivierter und quicklebendiger junger und ganz junger Leute, die fantastisch singen und spielen. Im Orchestergraben herrscht von Anfang bis Ende höchste Aufmerksamkeit – und alle Akteure unter Leitung von Dirigent und Musikschulleiter Ulrich Rademacher strotzen vor Selbstbewusstsein. Eine runde Sache!

Doch sie gemahnt auch permanent an die Nazi-Barbarei, der Hans Krása und viele der Brundibár-Interpreten von 1943 zum Opfer fielen: hohe Regale mit sorgsam beschrifteten Koffern bilden die Rückwand der Bühne. Koffer, die ganz sicher niemand mehr abholen wird. Allein eine kurze Sequenz innerhalb dieser Inszenierung wirkt bedenklich: wenn der böse Leiermann Brundibár von der sich einig wissenden Gemeinschaft in die Schranken verwiesen wird, geschieht dies unter marschmäßigem und lautstarkem Stapfen. Das weckt Assoziationen, die in die völlig falsche Richtung laufen können.

Davon abgesehen, die Botschaft an diesem Abend ist eindeutig: Wo immer Individuen unterdrückt, geknechtet und entrechtet werden, ist Solidarität oberstes Prinzip. Eigentlich eine einfache Botschaft. Ob die wohl nur (noch) ankommt, wenn es um absolut extreme Situationen wie die in den Lagern der Barbaren geht?

Christoph Schulte im Walde

 








Fotos: Michael Hörnschemeyer