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Fakten zur Aufführung 

BORIS GODUNOW
(Modest Mussorgskij)
13. Juni 2010 (Premiere)

Städtische Bühnen Münster


Points of Honor                      

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Mütterchen Russland (?)

Ein letztes Mal das tote Kind im Traum, ein letztes Mal das Menetekel - und Boris Godunow, der russische Zar, greift sich ans Herz: Exitus! So endet eine Herrschaft, die auf Gewalt gründet. Doch niemand lernt daraus. Auch sein Nachfolger beginnt zu regieren, gestützt auf einen Kindsmord. Ewige Wiederkehr des Gleichen.

Es ist ein zeitlich begrenzter Ausschnitt der russischen Geschichte am Wendepunkt zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert, den Modest Mussorgskij in seinem Boris Godunow vertont. Andreas Baesler projiziert die Geschehnisse auf die gesamte russische Geschichte, die in seiner Sicht offenbar ein einziges Morden und Intrigenspiel ist. Einen anderen Schluss lässt die hier gezeigte Sicht auf Boris Godunow nicht zu. Andreas Winkler baut einen multifunktional einsetzbaren Tunnel, in dem gespielt wird. Anfangs eine Glockengießerei, dann Klostergemäuer, ein heruntergekommener Kiosk mit КОКА-КОЛА-Automat, Machtzentrale des Herrschers... im Hintergrund entsprechende Fotos in Schwarzweiß: eine Fabrik, ein Plattenbau in seinem Entstehen, ein Fernsehturm (der später brennt).

Gabriele Heimann entwirft den jeweiligen Epochen angemessene Kostüme. Das ist auch notwendig, denn Baesler dekliniert das Thema Gewaltherrschaft mittels gegenständlicher Symbolik einmal durch: vom Gottesgnadentum der Zaren mit Bojarenkrone und Reichsapfel, über den zaristischen Doppeladler des 19. Jahrhunderts, in dem zum ersten Mal die Arbeiterklasse aufbegehrt bis hin zur roten Fahne der Oktoberrevolution, die zur Gewalt aufruft . Ganz zum Schluss, das war klar, bevölkern die eiskalten Manager des Putin-Russland in Schlips und Kragen die Bühne.

Wenn man Baeslers Sicht wohlwollend beschreiben möchte, kann man seine Regie als Anklage gegen staatliche Gewalt auffassen, die aber hier natürlich nur in Russland verortet wird. Man kann sie aber auch als arrogant titulieren. Die gesamte Geschichte eines Volkes derartig einseitig und Epochen übergreifend so wie hier zu beschreiben, sollte gerade bei einer historischen Oper nicht passieren. Und weil dieser Boris Godunow historisch ist, unterlässt Baesler die Figurenausdeutung zugunsten typisierender Szenen. Das führt zu manch imposanten und herrlich anzuschauenden Bildern, die jedoch reichlich platt wirken.

Das macht nichts, profitiert diese Oper in Münster doch vor allem von ihrer musikalischen Qualität. Das Sinfonieorchester läuft, wie schon häufiger in dieser Saison, zur Höchstform auf. Kapellmeister Hendrik Vestmann zaubert Mussorgskijs farbige, sprechende Musik aus dem Graben, verleugnet nicht den volkstonhaften Charakter der Musik – legt gerade bei den Märchen der Amme einen bezaubernd lyrischen Tonfall an den Tag. Lediglich in der Koordination zwischen Bühne und Graben kommt es zu ein paar Ungereimtheiten.

Sängerisch ragt weniger der solide Alexander Teliga in der Titelpartie hervor. Er macht seine Sache gut, mehr aber auch nicht. Es sind die kleinen Partien, die bestechen: Fritz Steinbacher als Gottesnarr mit hellem, völlig unangestrengtem Tenor und Johannes Schwärsky als Bettelmönch Waarlam lassen ebenso aufhorchen wie Matteo Suk als Bojar. Grundsolide ergänzen Plamen Hidjov (Chronikschreiber), Thomas Stückemann (Missaïl), Judith Gennrich (Godunows Sohn Fjodor) und Andrea Shin (Fürst Schuiskij) das Ensemble. Suzanne McLeod als Wirtin und Amme ist ein echter Hingucker.

Star der Produktion sind aber Chor und Extrachor der Städtischen Bühnen, die Donka Miteva zu Spitzenleistungen animierte, hervorragend unterstützt vom toll singenden und spielenden Theaterkinderchor des Gymnasiums Paulinum Münster (Einstudierung: Jörg von Wensierski) und Mitgliedern des ChorWerk Ruhr.

Das Publikum zeigt sich geduldig, goutiert die beeindruckenden Bilder und spendet nach einem langen (gefühlt: sehr langen) Abend allen Akteuren freundlichen Beifall.

Christoph Schulte im Walde

 











 
Fotos: © Michael Hörnschemeyer