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Fakten zur Aufführung 

DER KAISER VON ATLANTIS
(Viktor Ullmann)
28. April 2010 (Premiere)

Städtische Bühnen Münster


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Der Gärtner Tod

„Der Tod muss jeden Augenblick eintreten“ – diesen Satz posaunt der Lautsprecher mehr als einmal hinaus. Doch dieser Satz bleibt eine Wunschvorstellung. Denn: niemand stirbt mehr! Kaiser Overall ist völlig entsetzt, denn der von ihm ausgerufene „Krieg aller gegen alle“ hat keine Konsequenzen mehr. Im Gegenteil: die Menschen „ringen mit dem Sterben, um sterben zu können“ – so der Lautsprecher. Weil der Tod, der alte Gevatter, sich verhöhnt fühlt. Weil er selbst es nicht mehr ist, der dem Individuum das Leben aushaucht.

Viktor Ullmanns Kaiser von Atlantis, 1943 im KZ Theresienstadt entstanden, hat wenig mit Atlantis, dafür viel mit Nazi-Deutschland zu tun. Der Lautsprecher als Symbol für auf Linie gebrachte Medien, der Trommler als fanatisch krakeelender Propagandist, der Kaiser Overall als das, was sein Name ja schon sagt...

Ullmanns Oper hat das Lager überstanden, auch wenn sie dort nie zur Uraufführung gelangte. Wohl wurde geprobt, wohl war ein Uraufführungstermin avisiert. Dass er nicht realisiert wurde, liegt vermutlich daran, dass die meisten der an dem Projekt Beteiligten und der Komponist selbst schon vorher in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden. Andere Stimmen meinen, der Kaiser von Atlantis sei verboten worden.

In Münster steht Ullmanns Bühnenwerk im Zentrum der diesjährigen Arbeitsphase des Theaterjugendorchesters – kurz TJO. TJO? Diese Idee wurde in Münster geboren: junge Menschen, Schülerinnen und Schüler, sollten Gelegenheit bekommen, eine Opernproduktion unter absolut professionellen Bedingungen an einem absolut professionellen Opernhaus zu stemmen. Proben, Stimmproben, Einzelproben, Hauptproben, Bühnenproben, Generalprobe, Premiere... und so weiter. Das erste Projekt startete vor zehn Jahren, kontinuierlich wurde es fortgesetzt – jetzt also gilt es, den zehnten Geburtstag zu feiern. Und dies mit einem höchst anspruchsvollen Werk voller historischer Implikationen.

Sicher: die meisten der Orchestermitglieder des aktuellen TJO – das Durchschnittsalter liegt diesmal bei ungefähr fünfzehn Jahren – werden schon was mitbekommen haben über das deutsche Geschichts-Kapitel Nationalsozialismus. Dennoch stand im Rahmen der Probenarbeit des TJO auch ein Besuch der münsterschen Villa ten Hompel auf der Agenda – ein Geschichtsort in der Stadt, in dem die den Nazis willfährig in die Hände spielende Ordnungspolizei ihr Hauptquartier hatte.

Zurück zum Kaiser von Atlantis: der scheitert am Ende und ergibt sich in die Hände des Todes: „Ich bin das wohlig warme Nest, wohin das angstgehetzte Leben flieht“. Kaiser Overall ist der erste, der sich hineinführen lässt in dieses Nest, sich der Macht des Todes beugt. Völlig nackt geht er – und vorbei ist die Zeit, da den Menschen das Sterben genommen ward. „Sie ringen mit dem Sterben, um sterben zu können“ – so bis dato der Lautsprecher, mit seinem ewigen „Hallo – Hallo“ Symbol für die Kommunikation zwischen Kaiser und Außenwelt. Regisseur Markus Kopf entfaltet die Handlung als eine Art Mysterienspiel in einem auf ein Minimum reduziertes Bühnenbild (Manfred Kaderk). Wenige Requisiten sind erforderlich: ein paar leblose Puppen, Wanne und Eimer mit Blut, ein bewölkter Himmel, klar definierbare Kostüme und im Hintergrund der Schrift gewordene Imperativ „nicht töten“. Das reicht. Markus Kopf setzt ganz auf die stimmliche wie darstellerische Ausdruckskraft der Sängerinnen und Sänger. In dieser Hinsicht liefert ihm das aktuelle TJO-Projekt fabelhafte Akteure. Sieben Partien sind zu besetzen. Suzanne McLeod als Trommlerin und Donald Rutherford als Lautsprecher gehören zum Urgestein des Solisten-Ensembles am Haus. Wer, wenn nicht diese beiden, verfügt über derlei reiche Erfahrungen? Von denen die jungen KollegInnen zweifellos werden profitiert haben: fünf junge Stimmen, fünf echte Talente, die am Premierenabend eine ausnehmend gute Figur machen konnten, sängerisch wie schauspielerisch. Till Schulze als um seine Ehre gebrachter Tod – ein raumgreifender, satter Bariton. Nobel!! Tadahiro Masujima präsentiert einen locker-leichten Tenor mit perfekter Intonation – wirklich ideal für die Rolle des Harlekin. Den Bubikopf, ein einfaches Mädchen, gibt Melanie Spitau mit sehr beweglichem, gut geführtem und bis in die Höhe hinein präzisen Sopran, umgarnt damit den Soldaten, der das Kriegshandwerk vergisst und sich verliebt. Mindaugas Jankauskas übernimmt diese Partie und lässt dafür seinen ausgeglichenen, leicht abgedunkelten und gut sitzenden Tenor strömen. Rafael Bruck ist der Kaiser von Atlantis und sorgt vor allem mit seiner großen Abschieds-Arie für einen unvergleichlichen Gänsehaut-Effekt. Welch ein betörendes Timbre, mit dem er dieses ergreifende Lamento formuliert.

Und das TJO-Orchester selbst? Da kann man nur feststellen, dass die diesjährige Probenarbeit von Peter Meiser Früchte getragen hat: das Orchester spielt äußerst motiviert und - angesichts der bisweilen vertrackten Partitur - mit Risikobereitschaft. Vor allem sind viele Solisten gefragt: Flöte, Oboe, Trompete, Klarinette, Gitarre, Cembalo, Harmonium und noch etliche mehr. Das klappt alles vorzüglich, die Orchestermitglieder zeigen Selbstbewusstsein.

Jetzt, nach der Premiere, wartet der „ganz normale“ Alltag auf das Theaterjugendorchester. Denn auch alle übrigen Repertoirevorstellungen wollen versorgt werden. Wie in all den Jahren zuvor. Schließlich ist der Kaiser von Atlantis keine Orchidee, kein Sonderprojekt, sondern Bestandteil des Spielplans der Städtischen Bühnen.

Das in Münster geborene TJO wird inzwischen vom Staatstheater Kassel und vom Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen kopiert: beide Häuser haben das erfolgreiche Modell auch für sich entdeckt.

Christoph Schulte im Walde

 

















Fotos: Michael Hörnschemeyer