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Fakten zur Aufführung 

DIE SCHÖNE UND DAS BIEST
(Philip Glass)
14. Januar 2008
(Premiere 12. Januar 2008)

München, Staatstheater am Gärtnerplatz


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Märchenhaftes für die Seele

Ja, ich weiß: Um der Weltklugheit teilhaftig zu werden, sollte man das höchste Lob nur ungern spenden. Sorry, Gracian, du warst nicht in München. Rosamund Gilmore zaubert am Staatstheater am Gärtnerplatz als Münchner Erstaufführung eine „Schöne und das Biest“ auf die klugerweise eingesetzte Drehbühne, voller Poesie und Anmut, mit märchenhafter Aufhebung der Zeit, alles dreht sich um die sich noch suchende Existenz, mit deutender Metaebene, einem Ballett nämlich, das die Funktion des antiken Chores mit tänzerischer Leichtigkeit übernimmt, die äußeren und inneren Abläufe deutet und verstärkt, durch entsprechende, stimmlose Mundbewegung wird dem Zuschauer von Anfang an der rechte Interpretationsweg gewiesen, mit Musik, die so unglaublich fließt, dass jeder, der loslassen kann, sich einlassen kann auf das Spiel um Ablösungen und Erwachsenwerden, um die Kunst des Loslassens und damit verbundene Verlustängste, um Aufhebung der Dichotomie von Libido und Eros, in die Haltung des Staunens gerät, dieser Königsweg zum Göttlichen in uns. Und über dem Staunen nicht übersieht, welches Füllhorn die Regisseurin ausschüttet an subtilen Einfällen und psychogenen Bildern, die das Innerste anrühren möchten. Kleinodien der Psychogrammerstellung. Kongenial unterstützt von Carl Friedrich Oberle, der ausnahmsweise schon an dieser Stelle genannt werden muss, weil man nicht von dieser Inszenierung sprechen kann, ohne von seiner phantasiereichen und detailverliebten Umsetzung in Bühnenbild und Kostümen zu berichten. Gilmore gelingt das, wovon jede Regie nur träumen kann: Sie macht Cocteaus berühmte Filmvorlage vergessen.

Wie es einem antiken Chor zukommt, tragen die Tänzer (vorzügliche) Masken. Eben noch hatten sich die beiden Schwestern der Schönen vom konkursbedrohten Vater als Mitbringsel von seiner Abwendungsfahrt einen Papagei und einen Affen gewünscht, da tauchen im Zauberwald zwei Tänzerinnen im Kreis des danse macabre auf, mit Masken, morbide wie der Totentanz, an Kindervergreisung erinnernde Äffchen- und Papageienschwestern, die genau dies besagen: Ein Wunsch erzählt alles über den Wünschenden, fällt auf ihn zurück. Subjekt-Objekt-Korrelation der besonderen Art. Jeunesse d' Orée überall, ob der kurzbehoste Bruder Ludovik, knabenhafte Luftsprünge zeigen den Geist des Kinds, der leichtsinnige, zur wahren Liebe noch nicht erlöste Avenant, ob die hübschen Schwestern, denen die Schönheit der Seele fehlt. Dazu passend später der Original-Deuxchevaux, Ikone jedes Adoleszenzverweigerers, in dem Gockel Ludovik mit seinem pickbereiten Kumpan und den Hühnern unterwegs ist, Verlust der Firma hin, Abhandengekommensein der Schwester her. Zurückgebliebene im doppelten Wortsinn.

Der Rosentanz: Bevor die erbetene Rose (als Symbol autonom verantworteter Liebe) vom Vater für die Tochter gebrochen werden kann, zeigt das Ballett, auf welch schmalem Grat wir wandern, wenn wir uns auf den Weg der Liebe begeben, wie nahe Straucheln und Verirrungen bei dem Wunsch liegen, los zu lassen und neue, Glück stiftende Konstellationen denen - in diesem Falle die Tochter- zu ermöglichen, die wir doch lieben. Körpersprache und Stilisierungen, Choreographie, die in Seelenlandschaften führt, jederzeit ist zu spüren, dass die Regisseurin vom Tanzfach kommt und Intendant Ulrich Peters ein gewollter Glücksgriff gelungen ist.

Nur zwei letzte Beispiele, die die Lust auf diese Vorstellung in unwiderstehliche Begierde verwandeln soll: Der Sturmtanz. Einer der choreographischen und dramatischen Höhepunkte dieser wahrlich an Höhepunkten nicht armen Oper: Wie synchron zur auf- und abwogenden Musik Vater und die Company über die Bühne gepeitscht werden, vorwärts, rückwärts, der Bewegung des zweifelnden Herzens nachempfunden, von den Unbilden mitgerissen werden, in einen Sog geraten, in den sich der Zuschauer selbst mit hinein genommen fühlt, das gehört zum Schatz der bleibenden Bilder, den diese Aufführung verschenkt.

Die tiefenpsychologische Interpretation des Märchens, die Gilmore unaufdringlich, jenseits allen Psychologismus anbietet, illustriert paradigmatisch die Hochbettszene. La Belle kehrt heim, der (Liebesverlust-)kranke Vater liegt auf einem Hochbett, das nur per Leiter (also auf künstlichem, unangemessenem Weg) erreichbar ist. Symbol für das Über-Ich, jenem Ort in unserem Selbst, in dem die Eltern wohnen und damit die Schuldgefühle, die jede Ablösung hervorruft. Alle Insignien alter Unterwerfungen kommen wieder ins Bild, die Gehorsam ausdrückende Nähmaschine, die alte Wohnung mit Wiederkehr ohne Anschluss, wenn La Belle sich zu ihrem Vater ins Bett begibt. Die Freiheit ist im Anderen.

Die Kostüme. Sie alle stehen im Dienst der Inszenierung. Wenn die sexuelle Komponente in der Liebe zur Bestie Mann (das Fremde, Bedrohliche) als nicht im Vordergrund stehend signalisiert werden soll, weil die Einheit von Sexus und Eros angestrebt ist, dann trägt Mann Rock. Wenn die unverzichtbare und erhoffte Synthese von Zuneigung und Sinnlichkeit kurz aufblitzen soll, trägt der Herr Hose. Zu seinem Wolfsgesicht mit Hannibal Lecter-Gebiss. Genug, tauchen Sie selbst ein in diese märchenhafte Zauberwelt!

Das Bühnenbild: Nur eine Andeutung. Das virgine Bett im Zauberschloss. Seine Rückenlehne weist auf die wahre Bestimmung: Auslaufend in zwei Spitzen, die den Schattenriss der Monsterohren stilisieren. Die Begierde wohnt jedem jungen Bett inne.

Da Rosamund Gilmore die Geschichte einer doppelten Erlösung erzählt, ist es nur konsequent, dass Avenant Bestie und Prinz in einem ist. Denn auch Avenant sucht und findet Erlösung. Deshalb spielt Gregor Dalal „beide“ Rollen. Wie alle Sängerinnen und Sänger dieser Aufführung beeindruckt er durch sein vorzügliches Spiel, Körpersprache, Bewegung, Mimik. Sicher, bei Glass’ Musik handelt es sich um eine Art ausgebautes Rezitativ. Nichtsdestotrotz stellen die Rollen hohe Ansprüche auch an die sängerische Qualität, vor allem der Hauptrollen. Denen entsprechen alle Protagonisten an diesem Abend ausnahmslos und auf hohem Niveau. Das gilt neben Dalal ebenso für Sybille Specht als La Bete. Deflorationsängste, Verunsicherung, sich selbst verheimlichte Sehnsucht, retardierende Momente, alle Existentialien verkörpern sich in ihrem Spiel und Gesang. Stefan Sevenich, ein wunderbar überzeugender Vater, stimmlich glänzend aufgelegt, Torsten Frisch trifft den juvenilen, präpotenten Charakter des Ludovic. Oberflächlichkeit, gepaart mit Verschlagenheit, Eifersucht und Neid, bringen Christina Gerstberger (Adelaide) und Sigrid Plundrich (als Félicie) urkomisch und mit sicherer Stimme auf die Bühne, ohne den Bogen zu überspannen. In den Nebenrollen sympathisch und gekonnt wie immer Christian Hübner in der Rolle des tiefstimmigen Geldverleihers und Miklos Sebestyen als Hafenbeamter.

Die Musik: David Stahl erweist sich als Meister der minimal music. Was einst im Graben vor der Kinoleinwand in kleinster Besetzung begann, in Dortmund es erstmals auf die Bühne brachte, kehrte dorthin zurück, wo große Musik, auch wenn sie sich minimal nennt, hingehört: in den Graben. Wie er einen melodischen Fluss erzeugt, dem das Geschehen und das Bühnenbild korreliert, wie er Existentialien malt, Klangfarben schafft, das ist große Oper.

Das Publikum lässt sich vereinnahmen, verzaubern, mitnehmen auf die große Reise mitten in den Kern unseres Daseins. Volles Haus, voller Erfolg, Riesenapplaus, der Beifall schwillt an zum Orkan, wenn der Dirigent auf der Bühne erscheint, und niemand kommt auch nur auf den Gedanken, es lohne sich nicht, für anderthalb Stunden in die Oper zu kommen.

Frank Herkommer

Hier gibts Extrapunkte:
Ballett:
Choreographie:

 














Fotos: Jörg Landsberg