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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
14. Oktober 2007 (Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz

Points of Honor                      

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Hahnrei als roter Hahn

Der Deckenputz im Schloss bröckelt bereits unübersehbar, ein letztes Mal lässt Mozart in diesem Hochzeitsstadel die Epoche des Absolutismus sich selbst (gebrochen) inszenieren. Die in Richtung Kaiserdämmerung 1918 deutende Deckensprenkelanlage scheint schon lange nicht mehr zu funktionieren, ist bloßes, in trügerische Sicherheit versetzendes Dekorationsstück. Alle Löschversuche (der absoluten wie der aufgeklärten Geheimpolizeien) haben den Verfall nur beschleunigt, wovon ein erheblicher Wasserschaden zeugt. Jeder spürt, dass die Abrissbirne das einzig probate Mittel darstellen wird, und durch den aufbrechenden Überbau glimmt eher bedrohlich denn substantiell utopisch das Morgenrot der Umwälzungen. Tragende Wände aus Papier, private Gefühlsaufwallungen, die unbeabsichtigt das instabile Ganze mit einreißen können. Gesellschaftsveränderungen als Kollateralschaden privater Disparatheiten, oben wie unten. In Alfred Kirchners Lesart des Figaro buchstabiert sich Veränderung erst einmal als Abbruch, weniger als Aufbruch. Der rote Hahn als vermeintlicher Hahnrei. Utopisches, transzendierendes Potenzial trägt alleine die überschäumende Lust am Leben, die unaufhörliche Prozesshaftigkeit, das Gefallen an Provokation und das Recht auf List. Freude am Spiel, sie wird verhindern, dass bei allen komödiantischen Irrungen oder tragischen Wirrungen sich der Mensch verloren geht. Esprit, Lust auf Genugtuung und neckisches, lausbübisches Entdecken der Möglichkeiten als Kontinuum, das die Selbigkeit von vor- und nachrevolutionärem Ich stiftet. Mozart in der Loge hätte sich bei dieser Inszenierung vor Vergnügen auf die Schenkel geschlagen.

Kirchner gelingt es, eine überbordende Spielfreude zu entfesseln, mitreißendes Tempo anzuschlagen, ohne sich selbst zu überholen, atemberaubende Spannung aufzubauen und Tableaus der Reflexion und Verarbeitung einzuschieben. Der Musik Mozarts analog. Dabei hilft ihm ein junges, begeisterungsfähiges Ensemble. Und ein Bühnenbildner, der auf allen ablenkenden Schnickschnack verzichtet, ohne puristisch zu wirken. Accessoires als Geschmacksträger der Inszenierung werden geistreich und pfiffig von Christian Floeren eingesetzt. Die infantil-regressiven Anteile Almavivas lässt er mit der Schubkarre bedienen, auf der ihn der devote Basilio zur (Frauen-)Jagd trägt. Dass Basilio schwul empfindet, ist gut so, zeigt die Inszenierung damit den latent homoerotischen Zug an Männerfreundschaften ebenso wie den archaisch unterwürfigen Anteil in jeder männerliebenden (ob weiblichen oder männlichen) Seele. Zum finale Furioso fährt der Graf auf einer Barkarole der Nacht ein, adoleszente Phantasien werden befriedigt zwischen Bayernludwig und Phantom der Oper.

Dem Orchester des Staatstheaters Münchens gelingt es unter der Leitung von David Stahl meisterhaft, göttliche Leichtigkeit, illustrierende Beiläufigkeit, ungekünstelt wirkende Wendungen, schwebende Heiterkeit und kurz innehaltende Ernsthaftigkeit miteinander zu verbinden, ineinander zu verflechten, um sie wieder zu lösen und neue Verknüpfungen herzustellen.

Christina Gerstberger als Susanna ist ungemein spielfreudig und gesanglich voll überzeugend. Ihr jubelnder Sopran gibt der Liebe und dem nie wirklich Böse-sein-Können das angemessene Ausdrucksmittel.

Julian Kumpusch, glaubhaft jung und in das Leben verliebt, doppelmoralisch und notstandsgeil, verzichtet als Graf Almaviva auf alle Manierismen und Gesang für die Empore, stattdessen legt er Wert auf Verstehbarkeit, Authentizität, hat dabei Mut, zuweilen Weillsch zu intonieren, was der Rolle äußerst bekommt. Ein mehr als gelungener Einstand des jungen Sängers am Gärtnerplatz.

Sandra Moon in der Rolle der Gräfin: einmal mehr sehens- und hörenswert. Ihre brillante Stimme wirkt ausgereift und technisch versiert.

Köstlich Stefan Sevenich als tumber Figaro im Blaumann. Komödiantentum in Vollendung, schöne Stimme inklusive.

Weiteres highlight: die wunderbare Sybille Specht als Cherubino. Mit ihrer unverwechselbaren Stimme spielt sie die Hosenrolle eines Jünglings, der sich als Mädchen verkleiden und bewegen soll, mit hinreißender Komik.

Basilio findet mit Florian Simson seinen Meister. Stimme und Spiel absolut überzeugend.

Tadellos die weiteren Nebenrollen mit Snejinka Avramova als Marcellina, Johannes Wiedecke als Doktor Bartolo, Robert Sellier als Don Curzio, Sybilla Duffe als Barbarina und Christian Hübner als umjubelter stimmgewaltiger obrigkeitshöriger Antonio.

Fazit: Staatsintendant Dr. Ulrich Peters hat seine Feuertaufe im Staatstheater am Gärtnerplatz bravourös bestanden.

Das sah auch das Publikum so. Beleg: Lang anhaltender Schlussapplaus, teilweise standing ovations, immer wieder Zwischenapplaus, Bravorufe und leidenschaftliche Gespräche bei der Premierenfeier. Dieser Abend macht Lust auf mehr Gärtnerplatz. (herk)

 


Fotos: Ida Zenna