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Fakten zur Aufführung 

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Lehár)
10. November 2007 (Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz München


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Schrecksekunden

Warum soll es dem Publikum besser ergehen als Baron Zeta, der seinen Schock verkraften muss, als er Ehefrau Valencienne in flagranti mit Camille de Rossilon erwischt? Da fliegen kurz vor Ende die vermummten Truppen des Innenministeriums an Seilen auf der Bühne ein, Nordost in München und es behaupte niemand, dass ihm nicht kurz das Blut in den Adern zu gerinnen drohte. Eben noch verstand es eine geschickte Regie mit Wert auf Achterngewicht, nach einer eher gemächlichen Aufnahme des Tableaus das Tempo kontinuierlich zu steigern, um bis zum mitreißenden, pralle Erotik, überschäumendes Temperament und unbändige Heiterkeit versprühenden Siedepunkt der Stimmung zu gelangen. Jetzt ist wieder alles offen, nur die Handschellen der Männerwelt nicht (eben keine Männer von Welt). Regisseur Jan-Richard Kehl entgeht so geschickt der bloßen, operettenhaften Gefälligkeit und einer Nacherzählung ohne Brechungen.

Sein schlappenschlürfender Njegus steht im Dienst der Geheimpolizei. Diese wiederum bereichert sich an Zigarettenschmuggel, legt pikante Videodossiers mit Erpressungspotential an, Geldwäsche gehört ebenso zum Fach wie das Verschwindenlassen in Teppichen eingerollter Leichen im Botschaftsgartenteich. Balkanfolklore der makabren Art, die Grisetten als Pappkameradinnen, Schönheitsköniginnen der aufgeteilten, vormals jugoslawischen Bundesrepublik, aber auch Moldawien und andere Teile des ehemaligen Sowjetimperiums könnten Pate gestanden haben bei der Fülle köstlicher Einfälle. Immer mit einem Augenzwinkern, im Wissen um die fortschreitende Balkanisierung im Land der Schreibers und der Holzers. Ein verstörter Hitlerbubi, der nur als Spanner an der Liebe teilhaben kann, erinnert daran, dass es Adolfs Lieblingsoperette war, am besten mit Heesters am Gärtnerplatz. Traditionsbewusstsein ohne Moralin.

Vor dem ersten und zweiten Akt lässt der vorzügliche Bühnenbildner Paul Zoller kurz Einblick nehmen in das sonst verborgene Hinterzimmer, aus dem immer wieder der genervte Abhörspezialist Njegus herausstürmt. Zu sehen der Porno-Graf, auf diskreter Kassette versteht sich, Zigarettenschmuggel en gros und die (Geld-)Waschmaschine. Eine echte Ziege verstärkt später den folkloristischen Touch. Ein Brandfass für den abgelegten Silberfuchs, gelungene Lichteffekte (Georg Boeshenz), die den nicht funktionierenden Glühbirnen-Stern glatt vergessen machen, ein Gewächshaus, das an das berühmte Glashaus erinnert - nur einige Beispiele für Phantasiereichtum und burlesken Humor dieser Inszenierung. Es muss nicht immer Tiefsinn sein.

Die Kostüme (verantwortlich Annette Braun): eine Augenweide! Vor allem das Paillettenkleid der Hanna Glawari. Das reinste Aphrodisiakum, mit atemberaubenden Einblicken und Rückansichten. Oder das Grisettenballett: Selten unterstreichen schwarze Seidenmieder die Anatomie so gekonnt und erotisch, ohne vulgär zu sein. Unter den Chorfrauen auch eine Muslima mit Kopftuch, die Welt wird als das dargestellt, was sie ist: bunt und vielgestaltig. Besonders liebevoll ihre kleine Hommage an die verstorbene Evelyn Hamann.

Der Chor tanzt! Aber wie! Und er wogt quer über die Bühne, das Tempo der Inszenierung mitnehmend und ausdrückend. Silvia Zygouris setzt an diesem Abend choreographische Glanzpunkte. Und auch Hans-Joachim Willrichs musikalische Chorleitung zeitigt exquisite Ergebnisse.

Das Orchester unter der überzeugenden Leitung von Henrik Nánási zeigt ungarisches Temperament, Leidenschaft und Feuer. Mut zum Forte, um sich selbst zurück zu nehmen, sobald eine Konkurrenzsituation mit den Sängern eintreten könnte.

Das Idealste, lässt Fontane seinen alten Treibel sagen, bleibt doch immer eine Soubrette. Warum, wird bei Heike Susanne Daum deutlich: Hinreißend erotisch, überzeugend spielerisch und stimmlich beeindruckend mit ihrem ausgereiften, fröhlich-strahlenden Sopran. Wohl dem Haus, das über zwei Tenöre dieser Qualität verfügt: Tilmann Unger als Graf Danilo mit seiner eleganten Stimme ebenso überzeugend wie der shooting star Peter Sonn, dessen erotischer Schmelz ihm alle Herzen zufliegen lässt. Die vierte im Bunde Stefanie Kunschke als wunderbar intonierende und gewitzt spielende Valencienne. Alle Mittel-und Nebenrollen erstklassig besetzt: Dirk Lohr in der Rolle des Baron Mirko Zeta Akzente setzend, Daniel Fiolka als Cascada ebenso umwerfend komisch wie Mario Podrecnik in der Rolle des biederen St. Brioche mit Pastorenbarett, sichtlich angekommen am Gärtnerplatz; Thomas Hohenberger füllt die Rolle des Bogdanowitsch mit hintergründigem Humor aus, Thérèse Wincent steht ihm als Sylvaine in nichts nach. Dem Njegus mit Gunter Sonneson gebührt die Würdigung als beste Nebenrolle. Eigentlich schon wieder eine Hauptrolle, erzkomödiantisch, reif fürs Neujahrsprogramm. Überzeugend auch Christian Hübner (Kromow), Frances Lucey( Olga), Florian Wolf (Pritschitsch) und Susanne Heyng als Praskowia.

Das Publikum lässt sich mitreißen und verzaubern, klatscht anhaltend und bejubelt größtenteils die Inszenierung. Viele Reminiszensen werden wach, tausend Erinnerungen an unzählige Witwen. Für Staatsintendant Dr. Ulrich Peters war es die Einlösung einer Intendantenanforderung: Einmal muss man die Witwe machen. Gleich auf Anhieb hat das prima hin gehauen! (herk)

 


Fotos: Lioba Schöneck