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Capulet High against Montaigu High
Man kann Andreas Homokis Inszenierung von Charles Gounods ,Roméo et Juliette'
an der Bayerischen Staatsoper zumindest in einer Hinsicht nichts vorwerfen:
In den surreal überdimensionierten, knallbunten Schulutensilien auf der
Bühne (Gideon Davey) werden die Liebenden in Schuluniformen zweier rivalisierender
amerikanischer High Schools der 50er Jahre tatsächlich wieder Teenager.
Doch die riesigen Oktavheftchen, meterlangen Stifte und die gewaltige,
zur Seite gekippte Schulbank mit Tintenfassloch, aus dem im 2. Akt Julias
Balkon werden muss, geben dem hochemotionalen Geschehen leider eine kümmerliche
Playmobilmännchenerotik.
Homoki begreift die vielen Stillstände der Oper, die langen Liebesduette
und Arien, als Traumwelten und trifft damit prinzipiell die Weltfremdheit
zweier Verliebter zwischen starren Fronten. Doch eines begreift Homoki
nicht und das lässt die Spielkistenoptik gänzlich scheitern: verliebte
Jugendliche haben wohl pathetischere, dramatischere Träume. Wer da auf
dem Bühnenvorhang seinen Selbstmord in einem abrupt abbrechenden Brief
ankündigt, dem träumt im Gegensatz zur Regie vielleicht von tausend Kerzen,
von wallend weißen Hochzeitskleidern, von einer verklärten, geheimnisvollen
ersten Begegnung, von stilvollem Sterben. Er träumt aber sicher nicht
von Peinlichkeiten wie einem Zweikampf mit Bleistift und Füller, von denen
der beste Freund und der schlimmste Feind aufgespießt werden.
Der Sopranistin Juanita Lascarro träumte sicher auch nicht, am 3. Juni
auf der Bühne der Staatsoper zu stehen. Eine Erkältung von Angela-Maria
Blasi machte sie binnen weniger Stunden zur neuen Julia. Dieser immensen
Herausforderung stellte sie sich auf bewundernswerte Weise, wofür sich
die freundlichen Münchner mit tosendem Schlussapplaus bedankten. Obwohl
spielerisch unbefangen, zeigten die verrutschten, engen Spitzentöne ihre
verständliche anfängliche Nervosität. Doch die Kolumbianerin gewann an
stimmlicher Lockerheit, so dass ihr vibratoreicher, in der Mittellage
starker und weicher Sopran mit dem Hauch dunkler Farbe neben dem fabelhaften
Tenor von Marcelo Alvarez bestehen konnte. Alvarez trägt die Partie wie
einen Maßanzug. Seine Stimme glänzt in den Höhen, hat Rückhalt und Potential,
trotzdem sie zu heftigen Ausbrüchen fähig ist. Dabei behält sie stets
ihren lyrischen Tonfall. Gäbe es doch mehr solche Tenöre! An den Nebenrollen
spart schon Gounod. Erwähnenswert der übermütige Mezzo von Anna Bonitatibus
als Stéphano.
Neben den Sängern feierte man vor allem Marcello Viotti. Der Dirigent
führte das Staatsorchester mit Genauigkeit und wunderbarer Klangsinnlichkeit
durch die Partitur. Jeder lyrische Winkel war genauestens ausgehorcht,
jede Kantilene ausgeformt, wobei Viotti daneben auch die große Dramatik
im Orchester sich voll entfalten ließ. Großer Jubel! (tv) |
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