|
Orphée
- ein Held aus Thrakien
Im "Orphée" erlebt sich das Musiktheater immer wieder selbst, denn Orphée
ist der Ur-Opernstoff und sein thrakischer Held der Ur-Sänger. Auch Gluck
hat "Orphée" zum Meilenstein seiner Opernreform gemacht und mit solch
himmlischer Musik versehen, dass sich Hector Berlioz 1859 zu einer "Reproduktion"
hinreißen ließ. Diese erklang in München in der Regie und Choreographie
der vielgelobten Nigel Lowery und Amir Hosseinpour; in der Titelrolle
die phänomenale Thrakerin Vesselina Kasarova.
Das Regieduo hat sich die Opern-Querverweise des "Orphée" zunutze gemacht
und mit augenzwinkernder Leichtigkeit ein Stück im Stück inszeniert, ein
Märchen. Zu Beginn sitzt Orphée im leeren, bis zur Brandmauer offenen
Bühnenraum - ein Orchestermusiker im Frack ohne Instrument, den auch der
Chor aus Orchestermusikern nicht trösten kann. Erst ein quirliger Amor
mit roter Nase und Puffhose vermag Orphée Mut und Geige wiederzugeben.
Das Licht im Saal verlischt und das Spiel beginnt. Orphée steht in der
Hölle, einer großen Küche, wie aus einem Disneyzeichentrick, in dem unsere
Orchesterleute von umtriebigen Köchen im riesigen Herd oder Töpfen geschmort
werden. Durch den Einsatz seiner Geige befreit Orphée die Musiker, die
sich in einem Reigen seliger Geister ihrer ursprünglichen Profession zuwenden,
federnd leicht ihre Instrumente schwenkend.
Die Regisseure haben auf viele Stereotypen von Hölle und Elysium verzichtet
und wagen für das doch Unbekannte den irritierenden Blick eines Kindes.
Das pastellfarbene Elysium erinnert an Kindertage, mit Stofftieren und
einem knuffigen Eisbär. Am Ende glotzt das pensionierte Paar in den Fernseher.
Hosseinpour hat darin ihre Geschichte ohne happy end in ein freches Ballett
verwandelt.
Die Kasarova ließ an diesem Abend den ganzen Reichtum ihres farbigen Mezzo
erklingen. Durch feinsinnige und vielseitige Gestaltung, die zu immer
neuen Glücksmomenten führte, verschmolz sie mit ihrer Rolle. Diese ausdrucksstarke
Künstlerin setzte vollendet die umwerfende, volltönend runde Tiefe und
das zarte Mezza voce ihrer Höhe nebeneinander. Dagegen konnten Rosemary
Joshua (Eurydice) und Deborah York (Amor) nicht bestehen. Yorks kleiner,
schlanker Sopran klang leicht nasal und schien vor allem mit dem leeren
Raum zu kämpfen. Joshua führte ihre Stimme elegant und mit klanglicher
Krone, doch ohne charakteristische Note.
Im Orchester unter Ivor Bolton tobte trotz der romantischen Bearbeitung
eine Barockoper mit scharfen Akzenten und dennoch warm fließenden Passagen.
Duftig leicht und exakt begleitete es die Ballette; grandios auch die
Leistung des Opernchores.
Die Leistung des Publikums wäre gewesen, ständiges Husten zu bekämpfen.
Am Ende schienen die Münchner nicht nur krank, sondern auch müde. Kurzer
Applaus für einen tollen Abend. (tv) |
|