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Fakten zur Aufführung 

EUGEN ONEGIN
Peter Tschaikowsky
31. Oktober 2007 (Premiere)

Bayerische Staatsoper München


Points of Honor                      

Musik

s. u.

Gesang

s. u.

Regie

s. u.

Bühne

s. u.

Publikum

s. u.

Chat-Faktor

s. u.


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Bunt und tuntig

Schön, wenn ein Regisseur die Seelenverwandtschaft mit einem Komponisten feststellt und sich mit dessem Werk identifizieren kann.
Schade, wenn dieser Regisseur durch einige Entgleisungen in die Geschmacklosigkeit seine eigene Deutung ins Lächerliche zieht.

Krzysztof Warlikowski verlegt die Handlung in die schrillen Siebziger und macht den Umgang mit der Homosexualität zum Hauptthema seiner Onegin-Inszenierung. Ein spannender Ansatz, begründet mit Tschaikowskys Homosexualität und mit diversen Zitaten aus dem Libretto, in denen von Liebe zwischen Lenski und Onegin die Rede ist. Schlüssig auch in Onegins Ablehnung von Tatjanas Liebeserklärung und sogar in der Duellszene, die im Hotel-Lotterbett stattfindet: Onegin erschießt Lenski, bevor dieser ihn endgültig verführen kann. Erstaunlich ungeschickt gerät dagegen die Visualisierung von Onegins homoerotischen Fantasien in Form des wiederholt auftretenden Männerballetts. Die strippenden Chippendales bei Tatjanas Geburtstagsfeier sind noch originell und witzig, die tanzenden Cowboys zur Polonaise im Greminschen Puff-Palast und die Transen im Glitzerfummel sind derart dilettantisch, dass man sich fragt, warum der Regisseur sein Konzept jetzt der Lächerlichkeit preisgibt. Auch diese Einfälle hätte man handwerklich gut in Szene setzen können, aber in der halbherzigen Choreografie lassen sich selbst "Schwestern im Geiste" nicht überzeugen.
Ausbaden muss dieses handwerkliche Versagen wieder einmal die musikalische Abteilung. Kent Nagano muss wohl an manchen Stellen die Augen fest schließen, um in der Musik bleiben zu können, jedenfalls klappert es im Orchester bei szenisch besonders unbefriedigenden Stellen auch, obwohl Arien und Ensembles in Balance und Dynamik eigentlich hervorragend gearbeitet sind. Die Solisten sind jeder für sich erstklassig und Meister ihres "Handwerks", schließlich bedeutet auf diesem Niveau ein sängerischer Fehltritt die Umbesetzung für die nächste Vorstellung - nicht so bei der Regie.
Michael Volle verkörpert und singt die Titelpartie großartig: Kraft, Eleganz, Kühle und Erotik sind in seiner Stimme und Darstellung, wobei das jugendliche Element ihm etwas abgeht. Er wirkt deutlich reifer als Christoph Strehls jungenhafter Lenski, der in dieser Inszenierung zum blassen Bücherwurm wird. Die Damen sind mit stimmgewaltigen Russinen besetzt: Olga Guryakova als feurige Tatjana, die ihre Briefszene als Karaoke-Nummer ins Mikrofon singt, und Elena Maximova als Schwester Olga, die ihr stimmlich und äußerlich an Attraktivität in nichts nachsteht. Beide kommen allerdings aus einer anderen Klangwelt als die deutschen Kollegen, und auch der junge Bassist Günther Groissböck als Fürst Gremin wirkt trotz stimmlicher Überzeugungskraft in seiner Rolle nicht wirklich am rechten Platz. Die inhomogene Inszenierung und das nicht ganz ideal zusammengesetzte Solistenensemble haben eben auch Folgen für die musikalische Darbietung, und so wird in München Tschaikowskys Oper zwar nicht wirklich geschadet, aber auch keine künstlerisch wertvolle Neuproduktion präsentiert. (if)

Points of honor:
Musik: 4
Gesang: 4
Regie: 2
Bühne: 3
Publikum: 3
Chat-Faktor: 4

 

Wenn mit Vernunft man die Gefühle zähmen muss

(Besuchte Vorstellung: 6. November 2007)

Krzysztof Warlikowski gelingt an der Bayerischen Staatsoper der große Regiewurf. Sein kühner Eugen Onegin erweist sich als denkanstößiger, polarisierender Lackmustest für latente bayerische wie zwillingspolnische Verklemmtheiten und Reflexionsverweigerungen. Der Pole liest die Oper als das, was sie ist: Sub specie contrarii geführte Auseinandersetzung des klemmschwulen Tschaikowsky mit seiner eigenen, unausgelebten Sexualität. Einbezogen in eine hoch differenzierte Analyse von Umbruchzeiten, sei es das Ende der Zwangsheiraten im Russland der Achtzehnzwanziger hin zur Liebesverbindung, sei es die gesellschaftliche wie sexuelle Befreiung (gerade der Schwulen) mit der 68er-Bewegung in Westeuropa und das Phänomen des roll back, sei es der verspätete polnische Gesellschaftsaufbruch heute mit offenem Ende und bestehenden Ungleichzeitigkeiten, CSD-Verbot in Warschau. Die intellektuellen Fäden werden von Warlikowski fein gesponnen, verdichten sich, wenn etwa das Duell zwischen Onegin und Lenski im spießigen Lotterbett (!) stattfindet, als innerseelischer Vorgang Onegins/Tschaikowskys, zum Höhepunkt kommend mit dem Abtöten der eigenen, zu zähmenden Gefühle. Die beiden Adjutanten verkörpern seine weiblichen und männlichen Anteile, es trollt sich der weibliche. Statt angebotenem, sichtlich verlockendem Rudelbums und blow job (die Brokeback Mountain -Kostüme der Ballettmänner deuten mutuelle Männerliebe wörtlich) unter Zugriff auf Drogen und Alkohol, zurück zur (Schein-)Vernunft der bürgerlichen Existenz. Da verwandeln sich knallharte Burschen in tuntige Transvestiten, Karikaturen des Ewig-Weiblichen, die nicht länger dem sich selbst Abschwörenden ein X(-Chromosom) für ein Y vormachen können. Doch Warlikowski lässt Onegin das Coming In nicht durchgehen, eskamotiert seine späten Liebesbeteuerungen gegenüber Tatjana als schwülstiges, larmoyantes Courths-Mahler-Gehabe. So sind sie, die Klemmschwestern! Die Normalität ist das Scheitern. In der Oper wie im wirklichen Leben.

Der Aufbegehrende, der Neumodische, der Revoluzzer, sie alle entstammen der bürgerlichen Klasse, mit Latenzphasen und später retardierenden, immer mehr verbürgerlichenden Charakteren. Hat nicht auch die ursprungsbürgerliche Ulrike Meinhof ein Duell gegen sich selbst bis hin zur finalen Selbsthinrichtung geführt? Nur dass sie im Gegensatz zu Onegin nicht den aufmüpfigen, sondern ihren bürgerlichen Teil auslöschen wollte und in der Selbstbestrafung gerade ihre Bürgerlichkeit ungewollt unter Beweis stellte. Analogien, die zu schließen Warlikowski mit seiner subtilen Regie geradezu einlädt. Malgorzata Szczesniak, doppelverantwortlich für vorzügliche Kostüme und konkludentes Bühnenbild, unterstreicht diese Botschaft, indem sie ausgerechnet Stutzer Onegin von Anfang an und dann zunehmend bürgerlicher auftreten lässt als die Twist tanzende und die Mondlandung bestaunende Masse, die Kilius-Bäumler-Beloussova-Protopopow-begeistert das durch neue Medien mögliche Amusement der Reflektion vorzieht. Der Umbruch verwöhnt seine Kinder, mit Billardtisch und Geldautomatenspiel. Pastellzarte Lichteffekte in der Spiegelwand verbreiten auf dezente Weise wechselnde Atmosphäre.

Das Orchester unter Leitung von GMD Kent Nagano ist vorzüglich. Tempi wechseln zahlreich ohne Brüche, zarter Intonation folgen rauschhafte Beschwingtheit und tragische Tiefe ohne Slawenpathos.

Die Gesangssolisten: Absolute Weltklasse sind Olga Guryakova als Tatjana und Michael Volle als Onegin. Ihrem dramatischen Sopran fehlt gänzlich das Pathos und Kraftmeierische. Stattdessen Seele, Balance und Belcanto. Dazu noch eine bella figura. Glaubhaft, dass nur ein Schwuler sich ihrer Liebe verweigern könnte. Michael Volles herrlicher Bariton männlich, strahlend, klar. Beide Hauptprotagonisten überzeugen auch schauspielerisch voll. Nach kurzem Sich-in-den-Raum-Einfühlen zu Beginn steigert sich Christoph Strehl schnell zu einer imponierenden Leistung als Lenski. Sein Tenor dezent, warm und funkelnd. Iris Vermillion als Larina singt russischer als russisch. Ein Vergnügen! Elena Maximova verkörpert in der Rolle der Olga Leichtigkeit und Unbekümmertheit in souveräner Manier. Überzeugend Elena Zilio als Filipjewna, Günther Groissböck als Gremlin und Guy de Mer als Idealbesetzung des Triquet.

Das Südstaatenpublikum: Nur ein Vorhang für diese grandiose Gala. Das Ballett muss die zuhaus gemachte Homophobie in lautstarken Buhs ertragen. Das nennt man Sündenbock-Syndrom. Man ist ja so aufgeklärt in Bayern! Jeder kennt seinen Privatschwulen. Aber auf der Bühne, da möchte man so etwas doch bitte nicht sehen. Sonst war’s schon schön. Dann chatet mal! (herk)

Points of Honor:
Musik: 4
Gesang: 4
Regie: 5
Bühne: 4
Publikum: 2
Chat-Faktor: 5





Fotos: Bayerische Staatsoper