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Unsere Nationaloper
Kann man einem Regisseur vorwerfen, seine Figuren zu mögen? Wie Thomas
Langhoff in der Münchner Neuinszenierung von Wagners ,Die Meistersinger'
über Sachs, Eva, Stolzing, Beckmesser und die verschrobenen Nürnberger
Meister nachdenkt, das verrät den Blick des Philanthropen und genauen
Beobachters.
Sachs liebt Eva nicht als Frau, sondern als Mädchen von nebenan, das unter
seinen Augen groß wurde und selbstverständlich mit einem Problem zu ihm
geht, wie sie es immer getan hat. Dieses Verhältnis hat keine knisternde
Erotik, aber deshalb nicht weniger Poesie. Pogner zeigt Langhoff als treuherzigen
Vater, der nie jemand anderen für Eva vorsah als Stolzing. Beckmesser
ist eine pedantische, urkomische Rumpelstilzchentype, die nach dem desaströsen
Preislied aber wieder einen Platz am Fenster neben den anderen Bürgern
bekommt.
Die Regie rettet die belastete Oper als Nationaloper - als das Stück einer
freundlichen, toleranten und hellen Nation. Wie die Meistersinger des
Vereins ,Nürnberger Poesie e.V.' nimmt diese ihre Rituale, schwarzen Hüte
und stolzen Roben sehr ernst, doch darf auch gelacht werden. Im 1. Akt
wird im Einklang mit Wagners Musik, der Meistersinger köstlich albernes
Gehabe gezeigt, dem sich Stolzing als Rocker mit Pferdeschwanz unmöglich
anpassen kann.
Bloßstellung interessiert Langhoff aber nicht. Das geht so weit, dass
er es in der Prügelszene des 2. Aktes nicht übers Herz zu bringen scheint,
seine liebgewonnen Charaktere ins Gefecht zu stürzen. An deren Stelle
schlagen Skinheadandeutungen aufeinander ein. Hier geht die Inszenierung
wohl ein einziges Mal am Stück vorbei, sollte doch gerade die Brutalität
der braven Bürger schockieren. So singt Sachs' seinen Wahnmonolog etwas
ins Leere. Dafür hat Langhoff die Festwiese vor dem Hintergrund eines
weißgrauen Wohnblocks mit Cheerleadern, karnevalesken Zunftinsignien,
Livefilm und heutigen Menschen in pastellfarbener Kleidung wieder in das
amüsante Kammerspiel der vorausgegangen Akte integriert.
Die Sänger sind als Schauspieler stark gefordert und erfüllen diese Aufgabe
bravourös. Stimmlich beeindrucken vor allem die Meister: Jan-Hendrik Rootering
singt mit glutvollem, sonorem aber nicht übergroßem Bassbariton, wodurch
die bescheidene Person Sachs' in seiner massigen Gestalt wunderbar aufgehoben
ist. Stark präsentierte sich Kurt Rydl als voluminöser, kraftvoller Pogner,
den auch der Kothner des hervorragenden Jan Buchwald nicht in den Schatten
stellte. Buchwald glänzte durch Wortverständlichkeit, die man bei Rootering
und Rydl etwas vermisste.
Die Charakterstimmen von Kevin Conners als witziger Rabauken-David und
des superben Eike Wilm Schulte als Beckmesser hatten damit keine Probleme.
Wilm Schultes quäkige und dennoch kantable Interpretation ist bereits
legendär. Robert Dean-Smith versuchte sich als Stolzing an einer lyrisch
intimen Deutung der Partie (Preislied!), klang jedoch etwas zu wenig frei
und leicht beengt. Bei Michaela Kaune mischte sich in den Mädchenton einer
Eva zu viel Emphase und Hysterie, wenngleich die Piani hinreißend schön
kamen.
Zubin Mehta zügelte sein Orchester. Weniger im C-Dur-Rausch der flott
und markig gespielten Ouvertüre als im Laufe der Oper. Er assistierte
im Sinne eines hinhörenden Begleiters und vermied auf der Festwiese allzu
großes Auftrumpfen und falsches Pathos.
Das Publikum ließ sich davon zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Dass die
Regie nicht jedem gefiel, war wohl der Irritation durch die karge, klare
Bühnenbildsprache von Gottfried Pilz zu schulden. Man wird sich daran
gewöhnen und die Qualitäten der Inszenierung erkennen. (tv) |
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