Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

I MASNADIERI
(Giuseppe Verdi)
15. März 2008 (Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz München


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Höllenqualen im Paradies

Selten gespielt, weil Verdi mit dieser Nummernoper vermeintlich hinter sich selbst zurück gefallen sei, sehr zu Unrecht, wie die umjubelte Premiere am Gärtnerplatz eindrucksvoll belegt. Intendant Ulrich Peters hebt einen musikalischen Schatz, und Regisseur Thomas Wünsch poliert dieses oft unbeachtete Juwel auf Hochglanz. Spätestens seit diesem Abend hat München zwei Opernhäuser, und die Zeit, in der man von der unscheinbaren, kleinen Schwester der großen Staatsoper sprach, ist unwiderruflich abgelaufen.

Es kommt nicht oft vor, dass einem Regieteam soviel Jubel entgegen brandet wie an diesem Abend, und das völlig zu Recht. Wünsch legt die Schillerschen Parameter an „Nine Eleven“ an und erschließt damit den Zugang zu einer im Diskurs immer noch zu sehr tabuisierten Sichtweise. New York leidet unter zwei Formen des Terrorismus, die klassische Einteilung in Opfer und Täter greift zu kurz. Francesco, die Kanaille, residiert im Brioni, sein Hightech-Büro mit Alessi-Kanne sehr gut vorstellbar in einem der Twin Tower. Er steht für das kapitalverliebte Paradies Amerika, God's own country, mit seiner interkulturellen Ignoranz (einschließlich anderer Kulte als dem des Christentums), aus der usurpatorische (Welt-)Herrschaftsansprüche erwachsen, Schiller pur. Und zugleich weist Wünsch auf die (so im Libretto auch vorgetragenen) Höllenqualen hin, auf die in Folge des Anschlags beschädigte Freiheit und die gefallene Unschuld hinsichtlich der Menschenrechte durch Folter an den einschlägig bekannten Orten und mit den Demokratie auf mittlere Sicht zersetzenden Methoden. Ursachenforschung, die die angesprochenen Konsequenzen als folgerichtig und wesentlich angelegt sehen lässt.

Neben dem strukturellen Terror, der jederzeit umschlagen kann im nackte Gewalt, Francesco als dessen Inkarnation, auf der anderen Seite der anarchistische Terror unter der schwarzen Fahne, Carlo und seine Bande, der kaputt macht, was ihn kaputtmacht. Für den gänzlich skrupellosen Mord steht stellvertretend Rolla, dessen Charakter, so nicht im Libretto, Wünsch aus der Schillerschen Vorlage reaktiviert. Damit problematisiert der Regisseur geschickt den Einsatz von Gewalt und die Gefahr, sie zum Selbstzweck und Automatismus, zum puren Ausfluss thymotischer Spannungen werden zu lassen. Damit nicht genug. Wenn Massiliano etwa im Wahnsinn die Handpuppen tanzen lässt, hat dies in der Psychogrammerstellung Shakespearsche Dimensionen.
Kongenial das Bühnenbild und die Kostüme von Heiko Mönnich. Die Stahlträger des World Trade Centers, von der Hitze verbogen und gespreizt, die verbrannte Erde, die abgebrochenen Finger der Statue of liberty mit der Tafel, zu Boden geschmettert wie im göttlichen Zorn die Tafeln des Dekalogs damals am Sinai, der 4. Juli 1776 eingraviert. Jeffersons Unabhängigkeitserklärung mit dessen „selbstverständlichen Wahrheiten“ liegen am Boden. Das Haupt der Statue am anderen Ende der Bühne. Lederfetisch für Machtobsessionen, die Burgerking-Krone für den entmachteten Alten, der sich nur noch mit Freunden aus dem My Private Idaho-Umfeld mit Punkfrisur umgibt. Subkultur als Amerikas Menetekel und Chance. Die ersten Verweigerer oder letzten Verteidiger des american dream, die Antwort bleibt offen. Das Ende der Oper soll hier ebenso wenig verraten werden, um der Spannung willen.

Das Orchester unter Leitung von Henrik Nánási vereinigt den Furor teutonicus mit der grandiosen Italianità Verdis. Dürers Allegorie von den zwei trans- und cisalpinen Schwestern, ihre fruchtbare Symbiose, wird hier zum Hörerlebnis, das die Menschen von den Sitzen reißt.

Die stimmliche Besetzung ein ausgesprochener Glücksfall. Die Oper bekommt die Sängerin und Sänger, die sie verdient: Zurab Zurabishvilli, ein wundervoller Tenor, der dem Carlo Seele verleiht, ihn differenziert, mit einer Stimme, die weit ausgreifend alle Höhen scheinbar spielerisch nimmt, ohne die Färbung einzubüßen. Mikael Babajanyan, der bereits in Saarbrücken in dieser Saison als Giorgio Germont Furore machte, belegt einmal mehr sein riesiges Potential in der Rolle des Franceso. Spielstark und ein Belcanto vom Feinsten. Guido Jentjens als Massimiliano tief beeindruckend. Seine Stimme wunderbar klar, intonationssicher, variabel. Im Schauspiel tief betroffen machend. Amalia wird von Elaine Ortiz Arandas und ihrer weit gespannten, schönen Stimmfärbung, mit viel Eleganz und wunderbaren Koloraturen, sensationellen Piani anmutig, ergreifend und erschütternd in Szene gesetzt. Arminio findet in Adrian Xhema einen eleganten Stimmgeber. In den weiteren Rollen absolut ansprechend Holger Ohlmann als Moser und Florian Simson als Rolla. Der Chor unter Leitung von Hans-Joachim Willrich reiht sich ein in die überragende Qualität der Aufführung.

Die Vorstellung bekommt ebenfalls, was sie verdient: Ein sachkundiges und begeisterungsfähiges Publikum, das die Stimmen würdigen, die Musik genießen, sich mit den Beteiligten über diesen Erfolg freuen kann. Bereit, sich auf einen anstrengenden Diskurs einzulassen. München hat eine Top-Adresse mehr.

Frank Herkommer

 






Fotos: Ida Zenna