Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LEONORE
(Ludwig van Beethoven)
1. November 2003


Staatstheater am Gärtnerplatz (München)



Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Medikamentöser Staatsterror

Komponierte Erstfassungen haben es meist schwer. Etwas Unfertiges, Übergangsartiges haftet diesen Werken an. Dabei ist es wohl nur die Beleidigung unserer Hörgewohnheit, die die Kühnheiten des Erstlings verstellt. Für München bot sich jetzt erstmals die Möglichkeit, Gewohntes durch "Leonore" in Frage stellen zu lassen.

Gewiss, manches in dieser Partitur ist zu ausschweifend, doch die zwingende strukturelle Dramaturgie des 1. Aktes, die sich über Arie, Duett und Terzett zum wundersamen Eintritt Leonores im Quartett entwickelt, vermisst man im "Fidelio". Privates Glück und große Politik prallen hier noch radikal aufeinander. Diese Konfrontation zeigt auch die Regie von Hans-Ulrich Becker.

Das Bühnenbild (Alexander Müller-Elmau) stellt ein Panoptikum dar, ein rundes Gefängnis, dessen Zellen aus der Mitte stets einzusehen sind - totale Überwachung. Dass diese Anordnung psychologisch nur funktioniert, wenn die Mächtigen unsichtbar sind, verschweigt die Inszenierung. Um dies aufzulösen, benutzt Becker Tabletten. Die Gefangenen in gelben Kitteln in offenen Zellen mit Bügelbrett werden medikamentös ruhiggestellt. Schwer vorstellbar, dass sie andernfalls nicht die Revolte wagten, sind doch Rocco, Jaquino und Fidelio in hellblauen Polizeiuniformen auf ihrem gut einsehbaren, blumengeschmückten Plateau zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um als furchterregende Aufseher zu taugen. Becker zeigt nicht den Triumph Leonores. Florestan bricht am Ende (tot?) zusammen, von einer infotainmentgeilen Presse angeknipst. Deren Schlusshymnus dirigiert Fernando mit Blick auf die Uhr. Sein Regime wird schnellstens das des besessenen Pizarro, der als Transe gern die Anti-Leonore gespielt hätte, ablösen. Damit ist klar, dass Cholera auf Pest folgt.

Die Sänger wirken in diesem Spiel der großen Wirkungen isoliert voneinander. Schon der Bühnenraum ist akustisch ungünstig, vieles verhallt, feine Nuancen werden kaum hörbar. Am ehesten behauptete sich Christoph Stephingers sonorer Rocco, der köstlich jovial den Kopf warf, wenn es ums Geld ging. Der dramatische Sopran Brigitte Wohlfarths (Leonore) war stimmsicher und präsent, doch sehr scharf und tremolierend. Der lyrischen Márta Kosztolányi fehlte als Marzelline Unbefangenheit, liebende Emphase. Gerade ihre erste Arie blieb flach und nahm Leonores Gewissensbissen die Brisanz. Thomas Gazheli (Pizarro) kämpfte tapfer mit der tiefen Lage seiner Partie. Preisverdächtig war sein Spiel mit vollem Körpereinsatz und verzerrten Gesichtszügen. Wolfgang Schwaningers Florestan nötigte Respekt ab. Bei schöner tenoraler Klarheit neigte er jedoch dazu, Töne anzuschleifen.

Die erstmalige Leitung von Ekkehard Klemm konnte in der Feinabstimmung zwischen Bühne und Graben einige Wackler nicht verhindern. Die Ouvertüre leitete eruptiv das insgesamt markige Spiel des Orchesters ein.

Begeisterter Applaus des ausverkauften Hauses. (tv)




Fotos: © Anita Pinggera