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Fakten zur Aufführung 

DAS GESICHT IM SPIEGEL
(Jörg Widmann)
17. Juli 2003


Münchner Opern-Festspiele
(Cuilliés-Theater)




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Klonen ist menschlich

Wie passt ein Rokokotheater zu Klonwesen im frostigen Ambiente einer Biotechfirma? Auf den ersten Blick gar nicht. Tatsächlich wirkt das widerliche gelbe Licht, mit dem den Püttchen, Muschelchen und Tröpfchen ihre Farben genommen sind, noch vor Beginn von Jörg Widmanns erster Oper ,Das Gesicht im Spiegel' vermittelnd zwischen dem Zuschauerraum und der Bühne, die den Blick auf die rückwärtige Betonwand und riesige fensterartige Projektionsflächen für Videoeinblendungen freigibt (Bühne: Katrin Hoffmann).

Genau betrachtet jedoch fügen sich die vielgestaltigen Formen und Gesichter des Rokoko zu Parallel- und Symmetriewelten und finden in der Oper ihre Entsprechung im Kinderchor, einer Klonarmee, der Widmann und die Regie Falk Richters ausstaffierende, atmosphärische, kommentierende und schauspielernde Funktionen zuweisen. Der Chor kann für die Innenwelt Justines stehen, jenem Produkt der Profitgeilerei der Börsianer Bruno und Patrizia, das von Bio-Ingenieur Milton als exakte Kopie Patrizias konzipiert wurde.

Justine, unschuldig und unwissend wie ein Kind und von Widmann fast plakativ mit silberhellen höchsten Wohlklängen bedacht, durchlebt die Stadien der Menschwerdung: sie lernt, liebt, verzweifelt und will endlich sterben, da sie ihr Gesicht im Spiegel als Duplikat erkannt hat. Dies führt sie zur Einsicht, kein Mensch zu sein. Das ist dramaturgisch problematisch, da sie als Klon doch auch Mensch ist und sich durch den Lernprozess von Patrizia zu unterscheiden vermag.

Richter konfrontiert entsprechend der hastigen, anpeitschenden Musik voll divergierender Stilelemente mit einer ebensolchen visuellen Ästhetik. Die Video-Kunst Martin Rottenkolbers und Meika Dresenkamps schafft dabei ein modernes, multimedialen Sehgewohnheiten entsprechendes Umfeld. Doch Widmanns Musik verabschiedet sich unvorbereitet vom Drive, profiliert sich durch bewegungsarme stehende Klänge, "Orgelpunkte", die übermalt, überschichtet, überlagert werden und klanglich an sich reizvoll aber im Kontrast zum bisherigen ermüdend wirken.

Die Regie verlangsamt treu ihr Tempo und bestärkt die uneinheitliche Wirkung. Neben der betörend zarten und weichen Höhe Julia Rempes als Justine, fordert Widmann von Salome Kammer (Patrizia) alle Facetten der stimmlichen Lautäußerung, denen sie dennoch sehr sinnlich Ausdruck verlieh. An ihr wie an Dale Duesing (Bruno, mit erstaunlicher Textverständlichkeit) faszinierten schauspielerisches Profil und stimmliche Vielseitigkeit ohne Ermüdungserscheinungen. Anders der Milton Richard Salters, den seine zwischen Sprechen, Deklamationsgesang und Fisteln angelegte Rolle sichtlich ins Schwitzen brachte. Konkurrenzlos war wieder einmal die Leistung des Tölzer Knabenchores.

Hervorragend auch die musikalische Leitung Peter Rundels, der mit dem Bayerischen Staatsorchester Klänge von umwerfender Schönheit und spannungsvoller Dichte zu gestalten verstand, ohne den Atem zu verlieren.

Obwohl die zweieinhalb Stunden das Publikum anstrengten, brach sich der Applaus schnell Bahn; viele Bravos, besonders für die Kinder, Dirigent und Komponist. (tv)




Fotos: © Wilfried Hösl