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Fakten zur Aufführung 

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)
24. Juli 2005
(Premiere: 17.7.05)

Bayerische Staatsoper München

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Gefühle in Vitrinen

Ein Kritiker zu meiner Rechten nannte München neulich eine Wagnerstadt. Dass ich nicht lache! Wagnerstadt will man sein und führt bei den Opernfestspielen 2005 nur einmal Wagner auf, die traditionellen „Meistersinger“ im Zieleinlauf des Opernmarathons. Ich sage: München ist eine Händelstadt! Immerhin zwei szenische Händelwerke, Saul und Alcina, stehen auf dem Programm und im nächsten Jahr, wenn alle Welt Mozart feiert, wird München sieben Händelproduktionen in wenigen Wochen präsentieren.

Händel in München, das hat Operngeschichte geschrieben. Für den neuesten Beitrag zeichnet der wunderbare Regisseur Christof Loy verantwortlich. Aus Hamburg brachte er Alcina nach München, allerdings gut aufpoliert. Loy, der schlau und anmutig wie wenige seiner Kollegen inszeniert, gelingt es ohne zu lahmen, die Zuschauer durch vier Stunden ungekürztes Dramma per musica zu leiten. Dabei entwickelt Loy langsam, ohne rumpelnde Einfälle, womit ihm aber jeder folgen können sollte.

Das Bühnenbild und die Kostüme von Herbert Murauer begleiten die Veränderung des Geschehens und der Menschen. Im 1. Akt sehen wir die Projektion eines Gartens auf den Gazen, die einen klassischen Raum umgeben. Alcina, Ruggiero und all die ihren bewegen sich in üppig barocken Kostümen, edel, elfenhaft. Der Raum inmitten des domestizierten Gartens ist ein Ort für Emotionen – wie treffend, dass sich am Ende dieses die Beziehungen verkomplizierenden Aktes alle darin treffen.

Im 2. Akt werden Gefühle eingesperrt. Vitrinen sind mit steinernen Büsten und ausgestopften Tieren gefüllt – die verzauberten Wesen Alcinas. Dieses Sammelsurium kann für das Wegsperren, aber auch das vielsinnige Aufheben der einstmals gelebten Emotionen stehen.

Im 3. Akt ist nur noch Leere, die Kostüme sind der Militärkluft gewichen, mit der Bradamante schon den 1. Akt gestört hat. Alcina ist zur Businessfrau geworden. Vernunft hat gegen Fantasie und Gefühl gesiegt. Loy gibt mit dem Kollaps Ruggieros im Schlussbild den Hinweis, dass diese barocke Tannhäuserfigur, die Lust und Gefühliges mit Alcina zerstört hat, damit letztlich auch sich selbst zerstört.

Ruggiero und Alcina dominieren nicht nur szenisch, auch musikalisch ragen Vesselina Kasarova (Ruggiero) und Anja Harteros (Alcina) noch über eine ohnehin hochkarätige Besetzung hinaus. Kasarova gibt den verrohenden Ruggiero authentisch. Ihre herrliche dunkelrote Stimme, ihre vollmundigen und runden Töne packen ab dem ersten Rezitativ. Wenn die Kasarova singt, glüht man förmlich mit. Anja Harteros ist ihr ebenbürtig. Ihre große Arie „Ah, mio cor“ ersteht aus vorsichtigem Tasten, braust auf und fällt in tiefe Resignation zurück. Höchste Interpretationskunst und Stimmbeherrschung sind am Werk. Veronica Cangemis Morgana brilliert durch Leichtigkeit, auch wenn ihrem hellen Sopran nicht alle Höhen tadellos gelingen. Sonia Prinas schöner sonorer Alt arbeitet sich leider etwas an den Koloraturen Bradamantes ab. Die entzückende Deborah York gibt als Oberto eine Art barocken Cherubino.

Nach „La Calisto“ im Originalklang ist das Bayerische Staatsorchester für Alcina wieder zu einem barockmodernen Mischinstrumentarium zurückgekehrt – ohne wirklichen Qualitätsverlust. Ivor Bolton dirigiert einen gewohnt plausiblen, flexiblen, aber vielleicht in den Largos zu deutlich akzentuierten Händel.

Dem Publikum gefiel es. Warum es allerdings für die Arien der Kasarova deutlich mehr Bravos gab, als für diejenigen Anja Harteros’ will ich nicht verstehen. Kommt Zeit… (tv)


Fotos: © Wilfried Hösl