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Fakten zur Aufführung 

ELEKTRA
(Richard Strauss)
7. März 2008
(Premiere: 19. Oktober 2007)

Theater Meiningen
Südthüringische Staatsoper


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Hass und Gewalt

Es ist eine Musiktheater-Großtat: Spektakuläre Verweise auf globale Gewaltszenerien, psychologisch akribisch beobachtete ambivalente Beziehungen zwischen den traumatisierten Charakteren – dabei mit der mörderischen Urkraft des Mythos -- und in grandioser Kongruenz mit der elementaren Wucht der Strauss-Musik! Sensationell! Regisseurin Andrea Moses gelingt eine erregende Botschaft zur humanen Katastrophe von Hass und Gewalt am archetypischen Beispiel im fanatisierten Biotop der vom Schicksal (den Ideologien) gejagten Atriden. Dass manche Konstruktionen eher als stimulierende Verweise zu verstehen bleiben, als die konkreten Konstellationen im Kampf mit dem Terror korrekt abzubilden – Orest kehrt als Muslim in die Twin Towers zurück; die Morde finden als Attentat coram publico statt -, irritieren nur, wenn die Erwartung auf „deutende Dokumentation“ gerichtet ist.

Christian Wiehle baut eine faszinierende Bühne mit angedeuteten Twin Towers aus reagierender Glas-Folie, arbeitet mit behutsam-akzentuierenden Licht-Effekten und nutzt den Vorhang als Mittel zur Schaffung intimer Situationen.

Die Meininger Hofkapelle geht unter dem umsichtig leitenden Stefanos Tsialis hochmotiviert ans Werk. Da schwelgen die Streicher in emotional bezwingenden Tutti, da betonen Bläser und Schlagzeug die dramatischen Passagen mit höchster Intensität, da stimmen extreme Dynamik und abrupte Tempowechsel, da wechseln orgiastischer Gesamtklang und eindeutig-pointierte Instrumentengruppen – Transparenz und Balance mit der Bühne bestimmen das musikalische Feuerwerk.

Mit Bettine Kampp ist eine charismatisch-fanatische Elektra zu erleben, die aber auch gefühlsreich ihre emotionalen Beziehungen zu Mutter, Schwester und Bruder vermittelt; stimmlich souverän in den geforderten Registerwechseln, total ausdrucksstark in den extremen dramatischen Höhen, aber auch traumhaft berührend mit einer vollkommen beherrschten mezza voce. Elizabeth Hagedorn gibt die Chrysothemis als unbegriffen gewalt-abstinenten Gegenpol, präsentiert sich mit kraftvoll-ausdrucksstarkem Sopran, entwickelt eine sehr eigene Interpretation, abseits aller Konventionen. Die Klytämnestra Gail Gilmores besticht als „amerikanische Autorität“ im Condoleeza-Rice-Look mit enormer Durchschlagskraft ihrer voluminösen Stimme, überspielt erste Schwierigkeiten mit resoluter Kraft und souveräner Stimmkultur. Erdem Baydar besticht als Terror-Orest mit aggressiver Intonation, vermag zweifelnde Zwischentöne zu vermitteln, artikuliert wandlungsfähig seinen agilen Bariton und beeindruckt mit authentisch-emotionalem Spiel. Hans-Georg Priese ist ein verunsicherter Ägisth, kräftig-ausdrucksvoll sein Tenor. Die Mägde, Pfleger, Vertraute, Diener: das Ensemble der Meininger Oper leistet Großartiges, es stimmen Darstellung und Gesang.

Immer wieder staunenswert, wie in einer gut Zwanzigtausend-Einwohner-Stadt im eher abgelegenen Südthüringen das traditionsreiche Haus vollbesetzt ist. Die Atmosphäre ist bestimmt durch gespannte Aufmerksamkeit, die finale Massenmordszene am Schluss erschüttert, der verzögert einsetzende Beifall steigert sich langanhaltend. Schade, dass es ältere bürgerliche Ehepaare nicht unterlassen können, sich während der fesselnden Aufführung über ihre momentanen Eindrücke ungeniert auszutauschen. Mon dieu, man sitzt doch nicht auf der heimischen Couch vor der Glotze! (frs)