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Fakten zur Aufführung 

DIE MEISTERSINGER
(Richard Wagner)
2. November 2008 (Premiere)

Nationaltheater Mannheim


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Des Kaisers alte Kleider

Dass Wagner und Humor sich nicht kontradiktorisch zueinander verhalten, weiß man - spätestens seit den Meistersingern. Da wird sich geprügelt und gebalgt, Kuckuckslieder unterschoben, Liedvorträge geraten unter den Hammer, commedia dell'arte-leicht werden Eifersüchteleien provoziert, der alte Gockel hat zur Gaudi des Volkes das Nachsehen gegenüber dem jüngeren Liebhaber. Die Erneuerung der Welt scheint zu allen Zeiten attraktiver als ihr Niedergang. Wenn bei Wagner, dann ist hier eine humorvolle Inszenierung angesagt und eine Parodie sachgemäß. Abgeliefert nicht auf das unbeschwert leichte Stück selbst oder deutschtümelndes Wagnerpathos, sondern auf den Streit um sachgemäße Inszenierung heute und Sehnsüchte ohne Anschluss. Nicht nur bei Wagner. Jens-Daniel Herzog liefert dazu in Mannheim mit das Beste und für den Diskurs Ertragreichste ab, was in den vergangenen Jahren auf deutschen Bühnen zu sehen war. Seine lang erwartete Neuinszenierung der Meistersinger am Nationaltheater gerät zum Triumph der verschmitzten Doppelbödigkeit, des Spiels mit den Ungleichzeitigkeiten und des Effektes, den des Kaisers neue wie alte Kleider hervor rufen: Jeder sieht in der Oper, was er gerne sehen möchte. Der nostalgische Historienfetischist bekommt den Spiegel vorgehalten, erschrickt und buht sich selber aus. Herzog arbeitet sich sozusagen nach hinten vor. Zu Beginn ein Schuhmuseum, Vitrinen mit Exponaten und dem Singestuhl. Im Fokus die museale Rezeptionsgeschichte der Meistersinger. Das gespaltene Volk (die uns meinende Bildhälfte) demonstriert, die Traditionalisten in schönster Gesangbuchschrift (wenn der Knabe Lust statt Luft liest) erinnern daran, dass Kunst von Können komme, während die Vertraute-Bilder-Stürmer in jedem einen möglichen Künstler sehen. Die Kombattanten beziehen Stellung. Stolzing, ein herrlich prolliger, Michael-Jackson-Griff beherrschender Kuttenträger, das Gremium der Meistersinger, an Element-Tischen, ein Rücken und aus dem tagenden Rat wird die entscheidende Jury. So stellt man sich eine Sitzung von CSU-Granden ohne die Pauli vor, dafür zwei Yuppies, die der neuerdings mitbestimmenden FDP angehören könnten. Ein Sachs, zeitlos elegant, als sei er gerade mit Peymann und Thomas Bernhard einkaufen gegangen, darüber den „Laboratorium -Kunst“-Kittel. Und wie alle älteren Mentoren heimlich verliebt in die Eva in der Eva. Sixtus Beckmesser lässt von Anfang an keine Zweifel aufkommen, wer der Looser sein wird. Die spätere Raufszene gerät zum Museumssturm. Bevor es zur Herzogschen Peripetie kommt: Die Verkleidung von Lederstolzing und Bürgertöchterchen in Nürnberger Kindl von ehedem, verstaubt, lächerlich, unromantisch. Weiße Strumpfhosen für den Herrn, Liebkindkostüm fürs Mädel, mit dem pejorativen Beigeschmack, den Rückabwicklungen so an sich haben. Der Regisseur schiebt zwei Glasvitrinen vor die Beiden, damit auch der Letzte diese Retroperspektive der besonderen Art versteht. Das Volk fällt zombielike und trachtendürstig über den armen, nun auch umgezogenen Davidtropf her, bis sich der Himmel erbarmt, auftut und die Kostüme von Anno Dazumal an der Stange herab sinken. Auch für die Herren Meistersänger und ihre Camouflage ist gesorgt. Beckmesser geht in Popcorn und Colabechern baden. Das Paar hat sich gefunden, der Sieg ist errungen, die Nürnberger Lebkuchendosenidylle bildet den antagonistischen Hintergrund, mit Neonröhre und Burgmotiv. So unentschieden wie das Volk nun auch das letzte Bühnenbild. Nur Sachs bleibt Sachs. Wie das wahrheitsfindende Kind im Märchen vom Kaiser und der neuen, alten Kleidung. Die Damen und Herren des Chors kratzen und jucken sich am Ende bis der Vorhang fällt, das kommt davon, wenn man sich Flöhe ins Ohr setzen lässt und meint, man könne die Rückkehr in die Vergangenheit ohne Beachtung derer Leiden und Unzugänglichkeiten als lustigen Folkloretripp haben.

Für das schlüssige, mit zeitübergreifender Naturromantik ausgestattete Bühnenbild (Fliederbüsche vor dem Museum) zeichnet Mathis Neidhardt verantwortlich, wie für die signifikanten und farbenprächtigen Kostüme aus zwei Epochen.

Friedemann Layer, dem ein eher bedächtiger Stil nachgesagt wird, entfaltet ein dem Zug der Inszenierung angemessene Spielfreude, Witz und Farbenpracht. So heiter, ja südlich kann Wagnerteutschland klingen.

Tom Fox interpretiert Sachs wunderbar undeutsch. Honi soit, wenn man nach den Motiven der Buhrufer am Ende fragt. Jedes Pathos wird vermieden, seine einem Instrument gleich eingesetzte, pointierte und höchst kultivierte Stimme gibt Sachs Glaubwürdigkeit und Authentizität. Kein deutscher Donnerhall im Schlusslied. Einen Gefühlsfächer entfaltet Cornelia Ptasek mit ihrer farbenreichen, nuancierenden und verzaubernden Stimme in der Rolle der Eva. Wagner interpretieren heißt eben nicht raus gehen und schreien. Frank von Hove mit seiner unverwechselbar schönen Stimme, deren Eindeutigkeit, Charakterfestigkeit und in die Seele eindringende Suggestivkraft, wird in der Rolle des Veit Pogner zu Recht bejubelt. István Kováscházi spielt den von Stolzing nicht nur mit viel Witz und Schlitzohrigkeit, er singt mit jubelnder Stimme und höchster Konzentration. Zu Recht gefeiert. Thomas Berau leistet Großes als Sixtus Beckmesser. Komödiantische Begabung und höchste Bühnenpräsenz verbinden sich mit einer absoluten Wagnerstimme. Heike Wessels überzeugt als Magdalena ebenso wie Radu Cojacariu, der dem Fritz Kothner Profil und eine gefällige Stimme gibt. Lob verdient Maximillian Schmitt als rauflustiger David.

Das Publikum diskutiert noch Stunden später leidenschaftlich über Sinn und Zweck der Inszenierung. Viel Applaus für alle Künstler, nur Dirigent und Sachs müssen sich vereinzelte Buhrufe gefallen lassen. Herzog nimmt die große Zustimmung bei lautstarken Buheinmengungen sensibel wahr. Theater scheint den Weg zurück zu nehmen in die Arenen, immer häufiger enden Aufführungen in wüsten Plebisziten. Das eingedeutsche Wort dafür heißt: Abstimmung durch den Pöbel. Gerade von Kunstergriffenen sollte man einen kultivierteren Umgang pflegen, geprägt von gegenseitigem Respekt und Demut gegenüber der eigenen Urteilskraft. Sonst singt euch irgendwann kein Meister mehr.

Frank Herkommer

 




Fotos: Christian Kleiner