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Fakten zur Aufführung 

MEDEE
(Luigi Cherubini)
14. Februar 2008 (Wiederaufnahme)
Premiere: 31. März 2006

Nationaltheater Mannheim


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Ereignis Médée

Ist es Aufgabe der Naturwissenschaft, den Mythos in ihrem Zuständigkeitsbereich als primitives wissenschaftliches Denken zu eliminieren, während die Philosophie ihn zu interpretieren hat auf sein ihm innewohnendes Existenzverständnis, erhebt die Kunst den Mythos in die Anschaulichkeit und zum Ereignis in einem. Diesem ernsten Auftrag wird auf tiefe und ergreifende Weise Achim Freyers Médée am Nationaltheater Mannheim gerecht.

Seine Exilkolcherin drängt es nicht auf die psychoanalytische Couch, vielmehr in die Seele derer, die sich einlassen auf eine tragische Frauengeschichte, die sich eindimensionalen, biografischen Kausalitäten nachsinnenden Psychogrammen versperrt und Zeitversetzungen ebenso banal wie vom Wesentlichen ablenkend erscheinen lassen. Die Nemesis, jene hypostasierte Rache, jagt mit ihren eumenidischen Furien das verstörte Herz und weist über die persönliche Kränkung hinaus auf die gestörte Weltordnung hin.

Freyer gelingt diese Inszenierung des Mythos jenseits von Gut und Böse, indem er ein schlüssiges und in sich stimmiges Gesamtkonzept entwirft. Seine Archaik und Archetypik bedienen sich eines ganzen Bündels künstlerischer Ausdrucksformen, vom Bühnenbild über die Kostüme bis zu den Lichteffekten und der eine Interpretationsflut ermöglichenden Gestik. Alles aus einer, Freyers Hand.

Der Chor agiert gute fünf Meter über der Bühnenebene, dort verdeckt bis in Achselhöhe, aufgestellt zu einem augurischen Vogel-V. Ein Licht nicht von dieser Welt umsäumt fließend den Übergang dort oben, wo scharfe Grenzen zwischen Deutung und Distanz, Anteilnahme und Eingriff nicht zu ziehen sind. Bewegungen der Hände, abgestimmt, mal im Einvernehmen dessen, was sich unten ereignet, mal in Abwehr und Entsetzen. Arme, die zu Rudern der Argonauten werden. Ganzkopfbehelmung zwischen cheruskischem Krieger und Hologrammmuster. Unten vier Rampen mit fünf auszutauschenden Staffagen. Eingezwängte sind wir, mit zugewiesenem Ort. Und doch mehr, als der starre Rahmen vermuten lässt. Masken, die die Stigmata des jeweiligen Geschicks tragen: Créon mit der starren Miene des harten Herrschers, eine mit dem Gesicht verwachsene Krone, dazu die regieangewiesene Bewegung des Oberarmmuskelspiels. Jason mit dem rot ausgeleuchteten Flickengewand: Flüchtiger bleibt er und Möchtegern-Gigolo, krawattentragender, zur Verantwortung fähiger Herr und dann wieder pelzverbrämter Lebemann. Die hilflos abwägenden Arme zeigen den schwankenden Charakter und die Unentschlossenheit des Verschämten. Seine Augen vor Liebe blind, sein Gesicht mit den Widersprüchlichkeiten und Rissen, die seinem Handeln entsprechen.

Néris, barbusige nubische Amme mit nestelnder Fingerbewegung, als schwanke sie zwischen Hilflosigkeit und dem törichten Versuch, die verknoteten Fäden des Schicksals doch noch lösen zu können. Dircé mit florettreifer Ganzgesichtsmaske, sie sieht nach innen und zeigt das zwangsläufig Kommende mit schwarzer Innenhand, vor das Gesicht geschlagen. Médée, das wirre Medusenhaupt voll starren Entsetzens, versucht mit ihren Händen das gestörte Gleichgewicht auszuloten, nicht ohne dabei immer wieder das Undenkbare unterdrücken, unten halten zu wollen und zeichenhaft auf die beiden unterschiedlich großen Buben hinzuweisen, um deren Geschick es geht.

Die Stimmen: Caroline Whisnant stimmgewaltig in den dramatischen Passagen und einfühlsam in den lyrischen Abschnitten, die von ihrer Verwundung und Zerbrechlichkeit erzählen. In ihrer großen Interpretation ereignet sich Médée. Cornelia Ptassek eine wunderbare Dircé, ihr strahlender Sopran leuchtet die Höhen aus, viel Seele in der Stimme. Néris gespalten, nach dem Ausfall der Mezzosopranistin spricht und agiert Petra Beyerlein mit tatkräftiger Souffleusenunterstützung, während Monica Mascus mit eleganter Mezzostimme singt. Thomas Jesatko, viel umjubelter Créon, ausdifferenziert und klangschön. In der Rolle des Jason ergreifend John Horton Murray, seinem Heldentenor liegt das Französische und der häufige Wechsel der Klangfarben wie in dieser wunderschönen Cherubinioper.

Das Orchester wird zu Recht bejubelt. Kurzfristig hatte Michael Cook das Dirigat für Gabriele Ferro übernommen. Wie die Umsetzung von Leichtigkeit bei aller Bedrohlichkeit, die Zuordnung vom Mythos und Spiel gelingt, italienische Heiterkeit mit dramatischer Emphase wechseln, das war ein großes Hörerlebnis.

Das Publikum: Nicht so gespalten wie bei Freyers Traviata. Dass man eine der wenigen Inszenierungen miterleben durfte, die auch unsere Nachgeborenen noch ohne Abstriche genießen werden können, war den meisten klar. Dass trotzdem hier und da das Unwort von einer konzertanten Aufführung fiel, sollte keine Karawane der Welt aufhalten.

Frank Herkommer

 







Fotos: Nationaltheater Mannheim