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Fakten zur Aufführung 

LES CONTES D'HOFFMANN
(Jacques Offenbach)
2. Oktober 2010 (Premiere)

Nationaltheater Mannheim


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Biedermann und Sinnstifter


Mit Christof Nel führt kein Geringerer als der Herr des Neuen Mannheimer Rings Regie bei der Saisonpremiere am Nationaltheater. Entsprechend hoch die Erwartungen des Mannheimer Publikums. Wer eine märchenhafte Inszenierung mit opulenter Ausstattung erwartet hatte, ein Feuerwerk der verspielten Phantasie, entzündet am Genre der Phantastischen Oper, sich anbietende soziologische und anthropologische Aktualisierungen oder Ironisierungen, sah sich enttäuscht. Einmal blitzt eine Art Aktualisierung auf, wenn der Regisseur das Medium Webcam einsetzt, als Hoffmann sein Spiegelbild samt Arie verloren hat, und man ahnt, was wir mit der Vergesellschaftung des höchst Eigenen im Internet anzurichten dabei sind. Die karg ausgestattete Bühne auf ein Segment reduziert, vom
verbliebenen Rückraum abgetrennt durch eine Wand, an deren Rückseite ein imaginärer riesiger Daumen gerade dabei gewesen zu sein schien, sie einzudrücken, wie man eine perforierte Pappkarte eindrückt, aus der ein Bügel für das Mottenpulversäckchen entstehen soll. Wird die Wand zu einer Geraden um gute dreißig Grad verschoben, zeigt sie die tiefen Risse auf, wie sie sich im Denken des 19. Jahrhunderts zwischen Hegel und Nietzsche vor Offenbach auftaten. Nel benutzt die redundanten Stilmittel der Comedia dell'arte, mit den gewollten entropischen Folgen für das Publikum, wenn Crespel, Spalanzani und Olympia hinter einem Laken auf ihren Auftritt warten. Statt buntem Kaleidoskop und üppiger Ausstattungsoper Konzentration auf die Charaktere und das dem Regisseur Wesentliche. Kostüme, die aus idealischen Figuren Herrn und Frau Biedermann werden lassen, gedämpfte Farben, schlichte Gewänder, Männer, die in unerotischer Unterwäsche die Verdinglichung der Erotik erwarten und ausdrücken. Ausstattung, die die Figuren zurück nimmt aus der Sphäre des Märchenhaften, um damit eine tiefe Auseinandersetzung zu ermöglichen. Aus der künstlichen Puppe wird eine Allerweltsschönheit, aus artifiziellen Bewegungen der vergebliche Versuch, den realen Männererwartungen davon zu laufen. Aus den Saufkumpanen Opportunisten, aus Antonia die Frau, die für die Karriere ihr Leben zerstört. Ein unreifer Hoffmann, der hoffnungslos von sich selbst und anderen überfordert ist. Eine Inszenierung, die auf durchaus mögliche Reize verzichtet und gerade darin ihren Reiz hat. Christof Nel verweigert den Anbiedermann und gibt den leisen Sinnstifter.
Das beschriebene schlichte, grau gehaltene Bühnenbild von Sebastian Hannak, die den Erwartungen sich verweigernden und dennoch liebevollen Kostüme von Margit Koppendorfer.
Alois Seidlmeier bejubelt für seine konzentrierte, höchst präsente und führungsstarke Interpretation am Pult. Sein Orchester ebenso gut aufgelegt wie der fulminante Chor des Nationaltheaters, einstudiert von Tilman Michael.
Starke Frauen, die der Premiere Glanz gaben: Nicklausse, omnipräsent an der Seite Hoffmanns, wie alle Protagonisten einer Sequenz, weil im Kopf immer alle da sind, von Edna Prochnik, der Carmen der Vorsaison, glaubhaft als die einzige dargestellt, die die Kunst zu lieben bereits gelernt hat, eine angenehme, eindeutige, technisch weit entwickelte Mezzostimme, das Barcarole-Duett mit Giulietta einer der Höhepunkte des Abends, auch wenn das Publikum zu wenig Zeit für den Zwischenapplaus bekam. Antje Bitterlich eine herrlich unaffektierte, natürliche (!), alle Höhen spielerisch meisternde Olympia. Iris Kupke verzaubert als Antonia mit ihrer strahlend schönen Stimme. Wie die charakterlose Giulietta, der Monika Bohinec mit ihrer außergewöhnlichen Stimmfärbung Charakter und Ausstrahlung verleiht. Zu den männlichen Hauptprotagonisten: Wagnersänger István Kovácsházi in der Rolle des Hoffmann ein Tenor der Extraklasse, an dem sich wie gewohnt in Mannheim die Geister scheiden. Der umjubelte Höhepunkt seine Interpretation der Geschichte von Kleinzack, wie alles in französischer Sprache gesungen wird. Ob die Zwischentexte der Beteiligten unbedingt in deutscher Sprache radegebrochen werden mussten, sei dahin gestellt. Thomas Berau wie gewohnt ein souveräner, mit feinstem Bariton ausgestatteter Vielrollenausfüller, als Lindorf/Coppelius/Doktor Miracel und Dappertutto, der jedem Charakter seine eigene Färbung gibt. Von den Nebenrollen herauszuheben Uwe Eikötter, dem die unbändige Spielfreude abzuspüren ist, als Andrès, vor allem als urkomischer Cochenille und als Pitichinaccio. In den weiteren Rollen: Barbara von Münchhausen als Stella, Heike Wessels als La Voix de la Tombe (ein Loch im bürgerlichen Parkett), David Lee als Spalanzani und Wolfram, Radu Cojocariu in den Rollen Crespel und Wilhelm, Johan Weigel als attraktiver , bodybetonter Peter Schlémil und als Nathanael, Johannes Wimmer der beschürzte Maître Luther sowie Kevin Dickmann als Hermann und Le capitaine des Sbires.
Viel und herzlicher Applaus für die Protagonisten. Seit langem keine einzige Missfallensäußerung. Das Regieteam hatte weniger Glück. Neben wohlwollendem Applaus viele Buhrufe, die weniger aggressiv als enttäuscht klangen. Noch lange wurde heftig und kontrovers diskutiert, genau das, was die Inszenierung sich erhoffte.

Frank Herkommer

 







 
Fotos: Hans Jörg Michel