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Fakten zur Aufführung 

WOZZECK
(Alban Berg)
2. April 2005 (Premiere)

Nationaltheater Mannheim

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Musik

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Die tötende Droge

Ging es Büchner und Berg um die tötenden Institutionen ihrer Zeiten (Militär, Wissenschaft, Normen), so fokussieren Olivier Tambosi (Regie) und Gottfried Pilz (Bühne) das Leiden Wozzecks auf die Allgegenwart und Beliebigkeit des Mediums Fernsehen (im kulturkritischen Zusammenhang mit Neil Postmans radikalen Thesen).

Zu Beginn: Als Bühnenportal die verschobene Ikone des Bildschirm-Rahmens; es laufen – live! – Werbung, Trailer, dann die Tagesschau: zehn Minuten Bericht über den sterbenden Papst. Ein überwältigendes Thema, aus dem sich nicht beliebig „aussteigen“ lässt – zugleich die immanente Gegen-These.

Wozzeck ist schon im Gespräch mit dem Hauptmann nicht „hektisch“, er ist zugedröhnt, unfähig zu kontrollierten Entscheidungen, wird erst nach seinem Mord an Marie aus diesem Trauma wach. Der Kommunikationsraum gibt Platz für vielfältige Assoziationen: Rundhorizont, sandübersäte Flächen, Einbeziehung der Proszeniums-Logen provozieren Emotions-Kräfte der medien-gesteuert handelnden Personen: die Überwältigung selbstverantworteten Handelns durch „institutionelle Gewalt“ bleibt permanent lastend erlebbar.

Das Mannheimer Ensemble fasziniert durch intensives Spiel und hinreißend-emotionales Singen: Markus Eiche gibt dem Wozzeck apathische Präsenz, artikuliert die Berg-Klänge mit differenzierter Modulation; Susan Macleans Marie ist eine Charakterstudie der total abhängig-orientierungslosen Existenz, stimmlich von höchster Präsenz. Matthias Wohlbrecht gibt dem Hauptmann arrogante Statur, Winfried Sakai spielt und singt einen zynischen Doktor, Stefan Vinke gibt den Tambourmajor „TV-gerechte“ Unverbindlichkeit mit quasi Alltagsfaszination. Xavier Morenos Andres und Andrea Szántós Margret sind aus dem fantastischen Ensemble hervorzuheben.

Das Orchester des Nationaltheaters Mannheim leistet unter dem umsichtig agierenden Axel Kober Großes. Alban Bergs vielschichtige Musik wird im engen Kontakt zum Bühnengeschehen in ihren Mahlerquellen, atonalen Eruptionen und dekompositorischen Elementen als emotionales Werk des sozialen Mit-Leidens überwältigend hörbar.

Brüllen einige unverbesserliche Opern-Prolls noch zu Anfang ihren unbegriffenen Frust lauthals heraus, so gibt es während der Aufführung die beglückende Erfahrung gespannter Aufmerksamkeit; und am Schluss steigert sich der Applaus zu Ovationen für Solisten, Orchester und Regieteam: Ein Riesenerfolg für das ambitionierte Haus! (frs)


Fotos: © Hans Jörg Michel