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Fakten zur Aufführung 

IL TRITTICO
(Giacomo Puccini)
8. März 2008 (Premiere)

Nationaltheater Mannheim


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Der kleine Tod

Ein Triptychon illustriert drei Seiten eines Themas: Gabriele Rechs subtile Puccini-Inszenierung am Mannheimer Nationaltheater erzählt vom Tod in der Verfügbarkeit des Menschen, nimmt ihm die Exterritorialität zum Leben und damit den Charakter der negativen Absolutheit. In Drama (Töten als Ausscheiden des Heteronomen), Tragödie (Suizid als Vereinigung des widernatürlich Getrennten) und Komödie (Tod als magnifikatorisches Gericht, das den Niedrigen erhebt und die Hohen vom Thron stürzt) machen sich Menschen auf unterschiedliche Weise den Gevatter untertan, instrumentalisieren ihn und stutzen ihn somit zurecht auf eine kleine, skelettierte Marionette, deren Fäden der Mensch in Händen hält und die er auf der Bühne Welt vorführt. Und weil das Gesetz des Achterngewichts beachtet wird, offenbart die befreite Reaktion des Publikums in der hinreißend umgesetzten Komödie am Ende mehr als nur Heiterkeit: Es ist das unbändige Osterlachen, das den besiegten Tod bloß stellt.

Dieses Triptychon stellt ein Retabel dar, indem es in dialektischer Aufeinanderbezogenheit zugleich von der „Sehnsucht nach dem 'anderen Leben' – mal dramatisch-konfliktreich, mal tragisch-ausweglos, mal komödiantisch-ironisch“ (Franz Stuke) - erzählt.

Das Bühnenbild und die Kostüme (Sandra Meurer) mehr als ansehnlich. Die düstere Welt des Michele, schuftende, schmutzige Arbeiter und ein leeres Bett unten, stehendes Wasser und kaltes Blech. Mit heißem Herzen und kühlem Kopf der dürftig bemäntelte Mord, der das Oberdeck auch nicht heller macht. Besonders schön und anrührend die Szene, als Giorgetta und Luigi den raumteilenden Bettvorhang in ein Segel auf dem Schiff ihrer Hoffnung verwandeln, an dem sie sich festhalten wie an ihrer Hoffnung auf ein „anderes Leben“. Suor Angelicas Dormitorium ähnelt einer Kuranlage, es ist die Sauberkeit der Sekundärtugenden, mit der man ein Kloster leiten, aber nicht glücklich sein kann. Das aufgeworfene Beet im Garten, bewachsen mit den Schlüssel-Blumen zur Wiedervereinigung. Halb Keltengrab, halb erhöhter Ort für eine Epiphanie. Der Brunnen: ein Freiluft-Wasserhahn. Der weiße Habit (hier gibt es nur Novizinnen, einschließlich Oberin, der Traum vom anderen Leben hebt das Profess-Prädikat der Ewigkeit auf) korrespondiert mit dem Schein-heiligen Milieu. Umwerfend komisch die Ausstattung für den Schicchi. Alles scheint im Rahmen: Dante lässt allegorisch vor dem Babelturm grüßen, Uffizienmadonnen als Repro. Das sterile Krankenbett mit Schicchi-Hebekran. Ein Aufzug dient dem gekonnt in Szene gesetzten Aufzug der verschiedenen Protagonisten. Die Tafel als da Vinci-Parodie, mit Judassen en masse, jeder ruft „Herr, bin ich's?“, wenn’s ums Erben geht. Die Kleidung heutig und herrlich überzeichnet.

Das Orchester unter Leitung von Alexander Kalajdzic führt genresicher durch drei Stunden Puccini. Die dramatischen Momente verdichtend, rauschhaft-dionysisch, Suor Angelica zart einfühlsam, dann wieder religiös-ekstatisch eine Ikonografie einschreibend, den Witz und das Zutreiben auf den geahnten, aber erlebt werden wollenden Coup Schicchis in übermütig sprudelnde Musik umsetzend. Eine Wonne für alle Puccini-Freunde!

Jede Auswahl birgt Ungerechtigkeiten. Trotzdem zu einigen Stimmen. Einen triumphalen Abend erlebt Jaco Venter. Er spannt die Albatrosflügel seiner enormen Variabilität aus, legt die ganze Verletzlichkeit des Älterwerdenden mit Ermüdungsbruch in der Beziehung in seine Charaktere formende Stimme, in der Färbung wird das Barmen um Abwendung der Katastrophe nicht nur hörbar, es wird spürbar. Um dann wieder als erzkomödiantischer, alle mitreißender Schicchi sämtliche Register des komischen Fachs zu ziehen. Überragend auch Galina Shesterneva als stimmschöne, ausstrahlungsstarke Giorgetta, die ihr Verfallensein kaum verbergen kann. Um als Suor Angelica sich in die Herzen des Publikums zu singen, in einer Intensität, die an den Rand des emotional Erträglichen führt. Michail Agafonovs gepflegter, schmeichelnder und warmer Tenor prädestiniert ihn für den jugendlichen Liebhaber in der Rolle des Luigi. Andrea Szántó in der Rolle der Zia Principessa die Idealbesetzung. Sie beeindruckt stimmlich wie in der Körpersprache. Um als komische Alte in der Rolle der Zia im Schicchi das Publikum zu Begeisterungsstürmen anzufachen. Respekt vor Cornelia Ptassek, wie sie es in der kleinen Rolle der Genovieffa schafft, der Figur ein Gesicht - trotz der gleichmachenden Hauben - zu geben. Lauretta, der so auch eingekleidete Bauerntrampel, Iris Kupke gibt ihr eine wunderschöne Stimme. Xavier Moreno ein starker Rinuccio, wie das ganze Ensemble des Schicchi vor Sing- und Spielfreude sprüht.

Das Publikum ist entsprechend begeistert. Keinen Augenblick gelangweilt, die Länge kaum wahrgenommen, durch das Wechselbad der Gefühle ordentlich aufgemischt, sieht man nur strahlende Gesichter. Man weiß: Diese Aufführung macht Theatergeschichte in Mannheim, und man war dabei.

Frank Herkommer

 








Fotos: Hans Jörg Michel