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Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
27. Januar 2008 (Wiederaufnahme)
(Premiere: 6. November 1998)

Nationaltheater Mannheim


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In Schwans Welt

Gute neun Jahre können für eine Inszenierung eine sehr lange, zu lange Zeit sein. Weil Tagesaktualität so schnell verfällt wie jedes andere überschrittene Datum. Die 1998er Lohengrin-Inszenierung von Ulrich Schwab am Mannheimer Nationaltheater besteht die Probe aufs Exempel mit Bravour. Zeitlos schöne, märchenhafte Bilder begleiten durch die Oper wie Vergil durch Dantes Jenseitsgemälde.

Zwei Interpretionsadern durchziehen in der Mannheimer Produktion Wagners romantisches Werk, beide mythologisch und darum in der Zeit, als Parameter geschichtlichen Verstehens, nicht aber von der Zeit.

Kurz nach der gescheiterten 48er-Revolution komponiert, Entstehungshintergrund, und wie nach Bloch jedes Bild sich seinen Maler, so sucht sich auch jeder Umbruch und jede (noch) enttäuschte Hoffnung ihre Oper, deutet Schwab den Lohengrin als Wagnersche Folie für das Einheitsstreben der Deutschen. Konsequent wehen die schwarz-rot-goldenen Farben, und weil die Jenaer Burschenschaft es war, deren goldene Knöpfe, auf schwarzem Wams mit rotem Ärmelaufschlag den Deutschen ihre Fahne gab, besteht die Menge der Brabanter aus Mitgliedern einer studentischen Verbindung. Rettung, Erlösung, so die Lesart, kann ihrem Wesen nach immer nur von Außen kommen. Die Geburt der Nation braucht ihren Helfer. Die Macht des Mythos Erlösung erlischt, sobald der Charakter des Kontingenten durch Aufhebung der Distanz, der Fremdheit zerstört wird. Nie sollst du mich befragen! Der zweite Interpretationsstrang erzählt von der göttlichen Natur (im Hintergrund stets präsent Leda und ihr Zeus-Schwan) und daraus folgernd dem Anrecht auf den weiblichen Orgasmus. Elsa träumt vom Schwan, dieser lang gestreckten Figuration männlicher Erektion mit hartem, rotem Schnabelkopf. Erkennen wird bei Schwab im biblischen Wortgebrauch als sexuelle Vereinigung gedeutet. Die autonom gelebte Sinnlichkeit Elsas überfordert Lohengrin heillos. Der Schwan wird zur Taube, der edle Ritter zum bemitleidenswerten (Schwanenfeder-) Nestflüchter.

Knut Hetzers sehenswerte Bühnenausstattung arbeitet mit den Mitteln der Tiefenauslotung, wunderbar sein Einfall, den Chor auf einer holznusshalbschalenförmigen Ebene agieren zu lassen, mit Lichteffekten, die Pastell auf das Geschehen werfen und Tiecksche Märchenwelten entstehen lassen, mit Landschaften zwischen Rousseau und Rohentwürfen für Sanssouci und dem Motiv des doppelten Rahmens. Die Kostüme (Uta Loher) stark, viel Farbsymbolik, Uniformität neben Extravaganz. Die schöne Ortrud mit güldenem Brustpanzer, Cherubenschwerter für die Antipoden und Gestapoledermantel für Telramund.

Die Musik: Friedemann Layer bietet einen großen, unvergesslichen Wagnerabend. Märchenhafte lyrische Momente wechseln mit furiosen Tempi und wuchtiger satter Klangmalerei. Die Protagonisten auf der Bühne sehen sich zu keinem Augenblick gezwungen, gegen den Graben anzusingen.

Die Solisten: das Beste, was dem wagnerhungrigen und -kundigen Mannheimer Publikum derzeit geboten werden kann. Die Bühne, die schon so viele spätere Bayreuther hervorgebracht hat, sieht an diesem Abend mindestens eine Künstlerin, die die Verantwortlichen im fränkischen Wagnermekka nicht mehr lange übersehen sollten: Susan Maclean als Ortrud eine absolute Offenbarung. Ihr weiter, betörender Mezzosopran, ihre unverwechselbare Klangfarbe, ihre erotische Ausstrahlung, ihre komplexe schauspielerische Ausdruckskraft lässt sie unter frenetisch Bejubelten die Hervorgehobene sein. Beeindruckend ebenso Janice Dixon als Elsa von Brabant, Vollweib und eine große Stimme, mit der ihr eigentümlichen Färbung der Sopran, den sie wie einen Fächer in alle Nuancen zu entfalten weiß. Stefan Vinkes feiner Tenor, kultiviert und die mörderischen hohen Passagen meisternd, beherrscht immer mehr auch die tieferen Töne vollkommen und lässt in der Zukunft Großes erhoffen. Frank van Hove singt den Heinrich äußerst überzeugend, seine seelenvolle Stimme gibt der Rolle Würde und angemessene Bescheidung. Karsten Mewes brillante Baritonstimme, männlich voll, gepaart mit hoher Schauspielkunst, ergibt einen vorzüglichen Telramund. Was für ein Haus, das mit dem großartig singenden Thomas Berau eine Rolle wie den Heerrufer besetzen kann! Tilman Michael hat mit dem Chor einen der bedeutendsten Wagnerchöre zur Verfügung. Er weiß ihn meisterlich an diesem Abend einzusetzen.

Das Publikum: Viel Fliegen, viel Klunker, viel Roben. Man gibt sich die Ehre. Erleichtertes Aufatmen an diesem Haus mit Wagnertradition wie außerhalb von Bayreuth kaum noch einmal aufzufinden: Endlich, Ende Januar, der erste Wagner im Programm! Am Schluss standing ovations, fünf Minuten von diesem Publikum soviel Wert wie fünfzehn anderswo.

Frank Herkommer