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Fakten zur Aufführung 

FIESQUE
(Edouard Lalo)
16. Juni 2007 (szenische Urauff.)

Nationaltheater Mannheim

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Psychogramm der Macht

139 Jahre nach ihrer Einreichung beim Opernwettbewerb am Theatre Lyrique in Paris kommt Lalos Grand Opera Fiesque am Nationaltheater Mannheim zur umjubelten szenischen Uraufführung. Jens­Daniel Herzog erweckt ein Werk dieses 68ers des 19. Jahrhunderts aus dem damals politisch gewollten Zauberschlaf, das große Aussichten hat, die Schranken einer einmaligen Hausproduktion zu überwinden und ins Repertoire der Französischen Oper unter die Großen aufgenommen zu werden. Der an Schillers „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ orientierte, dessen Intension übersteigende, sowohl individualisierende und damit psychologisierende wie ästhetisierende Plot ist in dieser Inszenierung ebenso wenig schlüssig wie das Leben selbst.

Pascal Merciers nachtzügliches Staunen darüber, wie sich dem Archäologen der Seele der Gegenstand entzieht, um letztendlich lauter Widersprüche zu Papier zu bringen, Fiesque und sein Antipode Verrina erteilen hierzu bei Herzog Anschauungsunterricht. Dabei gelingt der Mannheimer Inszenierung, bei allen originär angelegten Sprüngen in der Charakteristik der Protagonisten und katzmausspielerischen Selbstinszenierungen komplexer Persönlichkeiten konsequent festzuhalten an der Äquidistanz zu den unterschiedlichen Herrschaftsformen und ihrer jeweiligen Statthalter. Trotz republikanischer Neigungen Lalos geht Herzog nicht den Weg der demokratischen Affirmation ex eventu. Das Amt und die Struktur von Macht formen seine Inhaber. Nach dem Umsturz nichts wirklich Neues unter der Sonne Genuas, lautet die Botschaft.

Die Vision der Selbstverwirklichung, die Berufungsgeschichte des Fiesque, vom Handlanger der Macht Hassan glatt und düpierend desinteressiert verschlafen, das, was den Weberschen Politiker als Beruf Ausübenden im Innersten zusammenhält, Schlüsselstelle für Lalo und Herzog. Zeitlich und sachlich in der Mitte, archimedischer Punkt der Exegese. Zum Berufsintriganten Hassan: Die ganze Bandbreite das Quiesling. Verschlagen und unterwürfig, gemäß Dietrich Bonhoeffers Warnung: Unterschätze nie den zur Schlauheit fähigen Dummen. Servil und den eigenen Vorteil erheischend, wenn’s ihm hilft feige. Hanna Arenth: Das Böse ist banal. Der Lalosche Böse trägt Hosenträger und Wollweste. Biedermann und Weltenbrandstifter wider Willen. Glanzrolle für Thonras Berau, der alle Erwartungen übererfüllt.

Als die Revolte geschieht, bedienen sich die Erneuerer des ganzen Arsenals der Negation, vom Füssilieren bis zur Vernichtung der sittlichen Existenz durch Demütigung und sexuelle Gewalt - Augustins Staatslehre lässt grüßen, der dem Umsturz nur die Verneinung, nicht die Neupositionierung zutraut. Die Potenz zu sagen, dass „A“ nicht sei, aber nicht die schöpferische Kraft, ein qualitativ höheres „B" an dessen Stelle zu setzen. Herzogs gelingt ein Psychogramm der Macht, das Unruhe stiftet beim Betrachter, dem eine neutrale Logenmentalität nicht gestattet wird.

Was dieser späten Grand Opera eine große Zukunft verheißt, neben der wie gesehen unendliche Regieeinfälle evozierenden Thematik, ist die grandiose Musik. Hinreißende Arien, der an antike Muster angelehnte Chor, das Volk als eingreifendes Subjekt, das Geschichte nicht nur erleidet, sondern auch mit zu verantworten hat. Immer auf der Suche nach dem Erlöser, Walter Benjamins geschichtsphilosophisch fundierte messianische Splitter. Der Ochlos, hoi poloi, der Plebs, verführbar und mitunter beratungsresistent. Völlig ungeeignet für jedwede metaphysische Überhöhung. Von William Spaulding meisterhaft einstudiert. Große Choroper!

Alexander Kalajdzic und sein Dirigat alleine wären Grund, diese Opernaufführung zu besuchen. Eine ungeheuer breite Gefühlspalette, ein Strom an Stimmungen und Nuancierungen werden differenziert und pointiert umgesetzt in ein Hörerlebnis der besonderen Art. Francesco Petrozzi, der die Rolle des Fiesque als die schwierigste seiner Laufbahn bezeichnet, entfaltet stimmlich und spielerisch ein wahres Charakterkaleidoskop. Vom hedonistischen Bacchanten über den über die eigene Wichtigkeit Gerührten, vom gefühlstrunkenen Liebesbeschwörer bis zum utilitaristischen Racheengel, vom Machtverliebten bis zum düster ahnungsvollen Todgeweihten, dessen Triumphplakate an den Hauswänden das Format südeuropäischer Todesanzeigen haben. Die häufigen hohen Töne kommen mit begeisternder Klarheit und Reinheit. Beim Schlussapplaus erleidet er die „Maladie de Mannheim“, ein bisher unbekannter Virus: Alle Tenöre müssen neuerdings lernen, die Flegelhaftigkeit einer verschwindenden Minderheit gelassen an sich abperlen zu lassen.

Die beiden großen Frauenrollen: Galina Shetserneva als, auch kostümlich, an die wahnsinnige Lady Macbeth erinnernde Leonore und die verletzte Royal Julie, die sterben muss, kaum dass sie zu lieben gelernt hatte, äußerst überzeugend interpretierend Andrea Szanto, beide überstrahlen noch einmal das durchweg gute Gesangsensemble, in das sich John Dalke (Gianettino Doria) ebenso wie Giorgi Bekaia (Sacco), Jun-I-lo Lee (Romano) und Hyun-Seok Kim (Borgogigno) auf hohem Niveau einreihen.

Für jede gelingende Transferleistung mit entscheidend die Kostüme und das Bühnenbild, beide Mathis Neidhard. Bei dem rasanten Tempo, das Lalos Werk zu eigen ist, eine große Herausforderung, der sich Neidhard absolut gewachsen zeigt. Die Emmanationen struktureller Gewalt in der Ausübung von Macht sind die (anthropologischen?) Konstanten, die Agierenden die Variablen. Museale Historisierung verboten! Fast food-Kittel der Kantinenbediensteten und Blaumänner der Aufständischen, MG und Bodyguard-Uniform eines beliebigen Security-Dienstes, Laptop der Scheinparlamentarier, alles passt, alles arbeitet dem Regieansatz und seiner Philosophie zu, ohne der Werktreue den geringsten Abbruch zu tun. Ausstattungsoper mit nachvollziehbarer heutiger Staffage.

Austauschbarer Ort des Geschehens: die Kantine vor einem beliebigen Plenarsaal. Charme kleinstädtischer Kapitale, Bonn vielleicht. Oder Lateinamerika. Oder Putins Russland. Oder Berlusconis Italien. Oder, oder, oder. Mit Ledersesseln in der Mauschelecke. Monitore an den Wänden, sie übertragen höchstens Selbstinszenierungen und Huldigungen an die Macht. Wenn Leonore mit der Pistole auf ihren untreuen Mann ebenso wie auf sich selbst hält, inkarniert sich in der Waffe der nötigende Charakter, der jeder großen Liebe (weil es dabei grundsätzlich um Leben und Tod geht) als ein Wesensmerkmal innewohnt. Fiesque als Geck und Stutzer, Salon-Guerillero und Staatsmann. Leonore: mal Dame, dann die pelzüberworfene Nachthemdfuriengerittene. Lichtkegel als Bühnenbild, im Blickpunkt die liebesrote Julie, die der Rachestrahl des Fiesque getroffen hat. Diese Oper muss man auch im Wortsinn gesehen haben!

Das Publikum feiert begeistert, während ein kleiner Rest dem Regisseur gegenüber lautstark sein Missfallen kundtut.

Frank Herkommer