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Fakten zur Aufführung 

ALESSANDRO
(Gian Francesco de Majo)
31. Mai 2008 (Premiere)

Nationaltheater Mannheim


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Gesang

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Die Dreisparten-Oper

Eine Hofoper von 1776 für den pfälzischen Kurfürsten Carl Theodor, dazu noch eine verloren gegangene Ouvertüre, Arien, die schon mal locker die Zehnminutengrenze streifen können, eine peinlich anmutende, sich devot anheischig machende Eloge auf den edlen Potentaten Alexander, der sich aufgeklärt gegenüber dem unterlegenen indischen Kollegen Porus verhält, als habe er gerade Voltaire verschlungen, eine Beziehungs- und Verwechslungsgeschichte, deren Verlauf und Ende abzusehen ist, sofern sie überhaupt darstellbar und nachvollziehbar ist - das alles lässt die Frage aufkommen, ob der Verbleib im Archiv nicht die beste aller möglichen Welten für Majos Werk dargestellt hätte. Oder eine konzertante Aufführung dem Haus viel Geld erspart haben würde. Mitnichten!

Nicht nur, weil die Fuchs Petroclub AG sich als großzügiger Mäzen erwiesen hat. Nicht nur, weil Majos Musik so zauberhaft prämozartianisch klingt und darum nicht dem Vergessen anheim fallen darf. Günter Krämer gelingt mit seiner Inszenierung ein exzellenter Wurf, eine Herausforderung, die ein brillantes Ensemble mit sichtlichem Vergnügen annimmt, die ein versiert und engagiert aufspielendes Orchester meistert, ein intellektuelles und künstlerisches Vergnügen für das Mannheimer Publikum, das sich nicht satt sehen, satt hören, satt denken und assoziieren kann während des knapp drei Stunden-Spektakels. Rollen, die dreifach besetzt sind - SängerIn, SchauspielerIn, TänzerIn. Die Oper als Dreispartenspiel. Ungeahnte Möglichkeiten tun sich auf, nie gesehene Bilder werden in Szene gesetzt, der sich selbst reitende Mensch nur eine der Figuren, innere Kämpfe, innere Dialoge werden darstellbar, doppelte Motivationen. Nicht nacheinander, sondern ineinander, mit witzigen Auflösungen. Den eigenen Versuchungen wird nachgegeben, wenn Alexander Schauspieler Alexander Sänger zur hochangereicherten Wasserpfeife animiert. Der historische Säufer kifft aktuell. Bisexualität weniger als ‚Sowohl als Auch’, eher phasenweises Entweder/Oder, wobei Krämer die Widersprüche und Brüche im Ich nicht in ein alter ego auslagert, sondern Selbsthass und Bestrafungswünsche in einen (kontrovers diskutierten) Akt sexueller Gewalt am Ende der Oper münden lässt. Er zeichnet Geschichten ein, die sich zwischen Schauspieler und Sänger abspielen. Er spielt mit den Ebenen. Er wechselt die Sprache, lässt den barocken, gestelzt wirkenden Redefluss zu wie Parodien auf das Hoffranzösisch, archaisierende Formen und knallhart konterkarierendes Jetztdeutsch. Sein „Alessandro“ liefert eine Theorie der Gefälligkeit von Oper, weist ihr den Platz im Leben zu, seine Inszenierung unterfüttert die Theorie mit Bollywood in Mannheim. Statt Langeweile subtile Unterhaltung.

Jürgen Bäckmann (Bühne) und Falk Bauer (Kostüme) brennen ein Feuerwerk ab an zündenden Ideen, märchenhafter Ausstattung. Schwebende Prinzessinnen, rotgestrapste Alexander, Glimmer und Glanz, Safrangelb und Hindukuh, nichts fehlt, nicht einmal der Tikkapunkt auf die Stirnmitte, den sarigewandete Schönheiten durch die Reihen tänzelnd dem Publikum auftupfen.

Paul Kribbe bringt den vorzüglichen Bewegungschor und die hoch motivierte Statisterie choreographisch auf Linie. Exotische Klänge von Sitar, Shrutibox, Dan Moi, Tabla, Hang, Konnakol und Kanjira rufen Yogendra und Ramesh Shotham gekonnt hervor, omnipräsent während der gesamten Aufführung.

Tito Ceccherini führt das Orchester des Nationaltheaters zu spritziger Italianità und zeigt, dass Barock immer mehr zu einem weiteren Gütezeichen des Hauses werden kann.

Das Gesangsensemble überzeugt ausnahmslos. Cornelia Ptasseks großer, solitärer Sopran, ihre seelenmalende Stimme gibt der Cleofide Profil und Ausstrahlung. Ihre tänzerische Seite wird mit Hua Shan-Bähr in beeindruckender Manier von einer Gehörlosen dargestellt. Zweiter Tänzer: Der elegante und zugleich herrlich komische Luches Huddleston jr. Lars Moeller überzeugt doppelt: Sein Bariton bellissimo, sein Spiel dem Profischauspieler und Könner Daniel Schüssler (der andere Alexander) absolut ebenbürtig. Umjubelt auch Iris Kupke in der Rolle der Erissena, mit wunderschönen Koloraturen. Beeindruckend Marie-Belle Sandis in der Rock-Hosenrolle des Poro. Eine vorzügliche Gesangsleistung darf auch Katharina Göres als Gandarte und Gundula Schneider in der Rolle des Timagene attestiert werden. Umjubelt die chansonierende Traute Hoess aus dem Schauspielensemble, aus dem Victor Schefé einen spannenden Poro gibt.

Das Publikum zeigt sich hingerissen. Immer neue Ovationen, stehend, einige wenige Buhrufer, die sich offensichtlich an der Darstellung der sexuellen Gewalt stören, provozieren ungewollt immer neue Ausbrüche der Begeisterung auf Seiten der ganz und gar nicht schweigenden Mehrheit. Mitten dabei Dr. Alfred Biolek, dem die Inszenierung sehr gut gefällt. Der klassische Teil bleibe unangetastet, Bollywood sei extrem in, die Mischung gelungen und die Grenze zum Kitsch, so lässt er opernnetz wissen, wird nirgends überschritten. Recht hat er!

Frank Herkommer

 








Fotos: Hans Jörg Michel