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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
17. September 2010 (Premiere)

Staatstheater Mainz


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Im Dämmer der Szene

Stühle als Obsession? Gewiss, die meisten können darauf sitzen, sie als Waffe schwingen, sie in die Ecke stellen. Der Stuhl als Metapher? Vielleicht fürs Behaustsein; dann wieder als Entfremdung, als angenehme Kulturtechnik oder als böser Kultgegenstand, dem Fremdheit innewohnt. Ja, über den Stuhl an sich kann viel nachgedacht werden, in ihn kann auch viel hineinprojiziert werden. Stühle können auch als Stilelement herhalten. Sandra Leupold hat jetzt in Mainz für ihre Tannhäuser-Sicht wieder einmal die Stühle als beherrschendes Mittel der Szene verwendet. Eine Allzweckwaffe, die ihr als Vehikel zur abstrahierenden Leere dienen kann. Denn die Figuren scheinen aus dem Nichts zu kommen und in der Leere des Seins zu verschwinden. Egal, ob Leupolds Don Giovanni oder Parsifal oder Tannhäuser, sie alle eint das Anlehnungsbedürfnis und die Abneigung gleichermaßen gegenüber diesem Accessoire. Man kann sich daran reiben oder sich daran festhalten, dem Dasein entfliehen oder den Zorn mit ihnen entladen. Beim Tannhäuser kommen Tische hinzu, anfangs mittig gruppiert, später auseinandergerückt, wie bei einer Schulklasse.

Ja, gut so, mag es scheinen. Aber auf Dauer wird der Sinn nicht mehr sinnfällig, weil auch in der Kunst sich abnutzt, was bekannt. In Mainz hat es jedenfalls den Anschein, als ob Sandra Leupold zum Stück selbst nicht allzu viel einfällt. Wagners Tannhäuser wird weder auf eine – möglicherweise – innewohnende Modernität abgeklopft, noch als zopfig verstaubte Seltsamkeit gezeigt, die allein aus der Musik lebte. Nein, hier wird nacherzählt, ohne viel Phantasie auf die Deutung von Bildern zu verwenden. Immerhin: Elisabeth, das keusche Wesen, darf am Ende aus einer Pseudo-Kruzifikation auferstehen. Sie wird also nicht von frommen Pilgern als Opfer ihrer eigenen Keuschheit und Opferwilligkeit zu Grabe getragen, sondern die Regisseurin weist Herrn Wagner in die Schranken: So nicht, lieber Richard, das geht zu weit, Tannhäuser hat Erlösung durch Elisabeth bei Gott nicht verdient; geblendet und blind irrt er durchs Schlussbild.

Auch hebt Sandra Leupold den Kontrast zwischen Venus und Elisabeth auf. Beide ähneln einander, in Kostüm und Gestus, und das Publikum fragt sich, warum eigentlich Tannhäuser den Hörselberg erklommen hätte, um dort der Venus zu verfallen. Aber nicht das vordergründige Bild scheint interessant, sondern das Bild hinter dem Bild, denn „Mann“ verfällt eben der Sehnsucht an sich, nicht aber dem Eros. So wird sein selbstzerstörerisches Naturell noch verrätselter und der Oper Gehalt verbleibt im Dämmer der von Tom Musch angerichteten Bühnen-Szene mit den schlicht-assoziativen Kostümen von Julia Burde.

Erhellender hingegen das Dirigat von Catherine Rückwardt, die mit diesem Tannhäuser ihre letzte Saison in Mainz einläutet. Das Publikum ist ihr sehr gewogen und weiß auch warum. Die Generalmusikdirektorin nimmt der Musik Pomp und Pathos und schenkt ihr dafür Transparenz, Geschmackssicherheit, hell aufblitzende Akzente, punktgenaues Ausleuchten und sehr gute Abstimmung mit den Sängern. Das Philharmonische Staatsorchester Mainz spielt dabei schön und ziemlich am Limit, während Chor und Extrachor noch Spielraum nach oben haben. Alexander Spemann geht die Tannhäuser-Partie ökonomisch an, hält dafür aber problemlos durch. Sein Heldentenor könnte gelegentlich noch mehr offenes Strahlen vertragen. Tüchtig der Bass von Hans-Otto Weiß als Landgraf, außerordentlich gepflegt der Bariton von Patrick Probeschin als Wolfram. Elisabeth wird von Bettine Kampp ausgezeichnet realisiert, anrührend im Spiel und sehr gut in der Führung des jugendlich-dramatischen Soprans. Auch Venus wirkt im intensiven Mezzo von Patricia Roach sehr gut besetzt, wie auch das Ensemble insgesamt überzeugt.

Das Publikum feierte bei der Premiere die Musiker, während die Reaktion auf die Inszenierung gespalten war. Sandra Leupold musste sich viele Buhs anhören.

Eckhard Britsch

 







 Fotos: © Martina Pipprich