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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
25. September 2009 (Premiere)

Theater Magdeburg


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Mozarts Rake

Karen Stone ist die neue Intendantin des Magdeburger Theaters – und die „Ära“ beginnt mit einem spektakulären Don Giovanni in der Regie Alfred Kirchners: Das Drama der Behauptung des Amoralischen als – scheiternde – Lebens-Maxime.
Kirchner setzt auf hinreißend-faszinierendes „Bewegungstheater“, demonstriert die unauflöslichen Zusammenhänge von skurriler Komik und zu Herzen gehendem Leid. Beispiel: Der verprügelte Masetto schwebt am Seil einen Fußbreit über dem Bühnenboden, wird von Zerlina geradezu zärtlich mitleidend bewegt und liebevoll ermuntert – eine nie gesehene Liebesszene von packender Intensität. Don Giovanni ist der Prototyp des amoralischen Gier-Halses, kein Frauen-Versteher, kein Repräsentant des unbefangenen Lust-Prinzips, kein emotionaler „Kämpfer“ gegen gesellschaftliche Zwänge – er steht nur für sich, benutzt Menschen, ignoriert jede spirituelle Kraft. Kirchner zeigt diesen fatalen Untergang eines „Rake“ in seiner ausweglosen Konsequenz – ohne auf zeitnah aktualisierende Konkretisierungen zu verweisen.
Mit Ulrich Schulz schafft er ein abstraktes Bühnenbild, mit schwarzen Quadern und schwarzen Wänden, die sich drehen und verschieben – und in emotional stimulierendem Licht immer wieder neue Räume erfindet. Giovanni gerät auf einer angehobenen Bühnen-Platte ins unaufhaltsame Rutschen – verschwindet im dunklen Loch.
Maria-Elena Amos konzipiert fantasievolle Rokoko-Kostüme, farblich changierend, Individuelles betonend, ästhetisch den Zusammenhang von Inszenierungskonzept, Aktions-Regie und „geheimnisvoller“ Bühne herstellend.
Rory Macdonald leitet die spielfreudige Magdeburgische Philharmonie mit großem Elan, variiert die Tempi handlungsgerecht, sorgt für einen differenzierenden Klang der Instrumente, hat die Bühne permanent im Blick, vermittelt einen beglückend klischeefreien Mozart-Klang mit aller Ambivalenz von überbordender musikalischer Lust und nachhaltigen Moll-Klängen. Ein Hör-Genuss ersten Ranges.
Das (neue) Magdeburger Solisten-Ensemble besticht mit ausdrucksvollem Spiel, körperbetonter Darstellung, kommunikativ überzeugenden Beziehungen – und nicht zuletzt mit brillanten Stimmen. Kartal Karagedik gibt dem frivolen Giovanni geradezu lustvolle Körperlichkeit, beherrscht die Partie mit hinreißendem Tempo (die „Champagner-Arie“!), variiert seinen ausdrucksvollen Bariton in allen Lagen, artikuliert mit stupender Präzision und vermittelt einen lustvoll-rücksichtslosen Giovanni par excellence. Martin-Jan Nijhof ist ein Leporello als Ebenbild seines Arbeit- und Ideen-Gebers: stimmlich bravourös in den Attacken, vollkommen legatosicher und brillant in der Phrasierung. Hale Soner verleiht der Donna Anna ambivalenten Charakter zwischen Opfer, Rächerin und skeptisch-Liebender; stimmlich ausgewogen in den lyrischen Passagen und in den dramatisierenden Herausforderungen. Noa Danon gibt der hoffnungslos-irrationalen Elvira überzeugende Gestalt, vermag diese gebrochene Emotionalität souverän zu interpretieren und beeindruckt mit sicher-klangreinen Höhen. Peter Diebschlag verfügt als durchaus kämpferischer Ottavio über einen sehr schönen Mozart-Tenor, kann sich aber neben den eher elegischen Klängen auch kraftvoll durchsetzen. Mario Solimene spielt und singt einen Masetto als durchaus mutigen Underdog, vermag mit flexibler Stimme Wut, Liebe, Verzweiflung intensiv auszudrücken. Und Barbara Pöltl ist die niedliche Zerlina, liebes-orientiert, zärtlich, aber auch wütend und sehr selbstbewusst – eine Akteurin mit sympathetischer Ausstrahlung, ein leichter Sopran mit bemerkenswertem Ausdruck! Paul Sketris gibt dem Komtur sowohl als versteinertes Denkmal als auch als rächender „Geist“ beachtenswerte Statur, singt mit aller Erfahrung eines kernigen Bass-Baritons. Nicht zu vergessen die hingebungsvoll agierenden Statisten als Bauern, Kellner, Diener und die kunstfertige Bühnen-Musik!
Ein aufnahmebereites Publikum folgt dem imaginierenden Geschehen mit Hingabe, feiert am Ende die Akteure geradezu leidenschaftlich – vor allem der jüngere Teil des Auditoriums! – und applaudiert rhythmisch – in Magdeburg offensichtlich die Spitze des Ausdrucks kollektiver Begeisterung. So kann es für und mit Karen Stone weitergehen – nur schade, dass es in Magdeburg in der Spielzeit nur fünf mal Gelegenheiten gibt, das großartige Ensemble zu bewundern.

Franz R. Stuke

 




 
Fotos: Karl-Bernd Karwasz