Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
4. Februar 2008
(Premiere: 15. Januar 2008)

Teatro Real Madrid


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Richard Wagners "trauriges Stück" in Madrid

Richard Wagner war ein großer Spanienfan: Insbesondere Cervantes, Lope de Vega, Calderón de la Barca gehörten zu seinem beständigen Leseprogramm. Die Liebe wurde erwidert: Die Wagnerrezeption in Spanien setzte bereits sehr früh ein. Schon 1874 gab es mit der Sociedad Wagner eine erste Institution, die sich für die Verbreitung des Werkes auf der iberischen Halbinsel einsetzte. Dabei lag der geografische Schwerpunkt auf Katalonien. Ausgehend vom Barceloneser Opernhaus, dem Liceu, erreichte die Wagnerbegeisterung mit einer enormen Tiefenwirkung auch die bildende Kunst etwa eines Joan Brossa, Antoni Tàpies oder Salvador Dalí. Seit der Wiedereröffnung des Madrider Königlichen Opernhauses 1995/97 ist auch hier regelmäßig Wagner auf hohem Niveau zu hören und auch in Valencias neuem Opernhaus (2005) erarbeitet man derzeit einen "Ring des Nibelungen" in der Regie der katalanischen Off-Theatertruppe La Fura dels Baus.

Der aktuelle Madrider "Tristan" beruht auf einer Produktion des Teatro San Carlo in Neapel aus 2004, die in einer Doppelbesetzung - der Teatro Real ist nach dem Stagione-Prinzip organisiert - neueinstudiert wurde. Bis auf die Isolde der Jeanne-Michèle Charbonnet gibt es keine personellen Überschneidungen. Die Besetzung der zehn Aufführungen ist luxuriös wie selten: Waltraud Meier und Jeanne-Michèle Charbonnet teilen sich die Isolde, Robert Dean Smith und John Frederic West den Tristan, Alan Titus und Alexander Marco-Buhrmester den Kurwenal, Mihoko Fujimura und Elena Zhidkova die Brangäne, René Pape und Georg Zeppenfeld den König Marke, Lauri Vasar und Alexander Marco-Buhrmester den Melot.

Für den katalanischen Regisseur Lluís Pasqual ist "Tristan und Isolde" eine unermessliche Liebesgeschichte: interpretatorisch unergründlich und ewig gültig. Diese Unermesslichkeit zeigt sich in der Inszenierung zuerst in der zeitlichen Dimension, die Pasqual ausdehnt über die 800 Jahre vom Mittelalter bis in die Jetztzeit.
Der erste Aufzug spielt in der Aufzeichnungszeit des Stoffes durch Gottfried von Straßburg im frühen 13. Jahrhundert, Aufzug Zwei in der Entstehungszeit des Musikdramas, also dem Wagnerschen 19. Jahrhundert, und der dritte Aufzug in der Zeit der Inszenierung, in einem Dekor und Outfit aus dem 20. Jahrhundert. Pasqual betrachtet jeden Akt als eigene Einheit und inszeniert ihn als Werk für sich mit Exposition, dramatischem Kulminationspunkt und Ende. Die Einheit des Stückes als Ganzem wird vor allem durch die handelnden Personen gewahrt, die aber von Aufzug zu Aufzug zugleich 'anders' sein mussten, um die Wahrheit des Ausdrucks nicht zu verlieren: Drei verschiedene Zeitebenen in drei verschiedenen Settings erfordern auch drei heterogene und den jeweiligen Zeitaltern adäquate Körpersprachen und Umgangsformen – eine Schwierigkeit, die die Inszenierung ausgesprochen bemerkenswert meistert. Einheitsstiftend ist auch das Kontinuum des Meeres, das den Großteil des Bühnenhintergrundes bestimmt und die Inszenierung grundiert (Bühnenbild: Ezio Frigero), indem alle drei Aufzüge auf es Bezug nehmen. Die menschliche Geschichte schreitet voran vor der langen Dauer des sich gleichbleibenden Meeres. Die große Wasserfläche ist illusionistisch als bewegte glänzende Fläche gestaltet, stimmungsvoll ausgeleuchtet (Licht: Wolfgang von Zoubek) und durch Wolkenprojektionen oft dramatisch gesteigert. Im dauernden Auf-und-ab der Wogen integriert es Bewegung und Ruhe und bildet eine Referenz zu den bewegten Klangmassen der Musik, nimmt zugleich aber die für Wagner so wichtige Meeresmetaphorik auf: das Meer als Sinnbild des "Sehnens". Der "Tristan" ist natürlich auch vom Ort her essentiell ein Stück am Meer. In Pasquals Inszenierung spielt "Tristan" am Mittelmeer und nicht an Cornwalls oder Kareols Küste. Von der Entstehungszeit kann man das rechtfertigen, ein Großteil des "Tristan" entstand in Venedig.

Eine weitere 'Unermesslichkeit' ist das "Gen der Traurigkeit", wie Pasqual es nennt, für ihn eine unveränderliche Essenz des Menschseins. Es bestehe oder entstehe in der unüberwindbaren Differenz zum anderen Menschen, zu dessen Gefühlen und dessen Schmerzen. Das "Gen der Traurigkeit", ist in der Inszenierung sichtbar vor allem in der Rolle des Tristan: Er ist bestimmt durch tristeza, Ärger und Depression: Robert Dean Smith verkörpert es von Anfang an, er ist entrückt, bewegt sich leicht taumelnd, irgendwie nicht mehr ganz präsent, überhaupt nicht heldisch - eine Rollenauffassung, die einen starken Kontrast bildet zur selbstbewussten, energischen und gegenwärtigen Isolde und dem ganz und gar diesseitigen Kurwenal. Alan Titus – welches Opernhaus kann es sich schon leisten, den Kurwenal mit einem veritablen Wotan (in Köln in der Inszenierung von Carsen, in Bayreuth unter Flimm) zu besetzen – ist ein aktiver, viriler Kurwenal, der sich mühelos deutlich zu artikulieren versteht und der für diesen Tristan eher einen Beschützertyp darstellt.

Aufzug 1 spielt in Frigeros effektivem Bühnenbild librettogerecht auf dem Bug eines Schiffes. Es ist sängerfreundlich platziert im Bühnenvordergrund vor dem weiten Hintergrund des Meeres, die Bühnenhydraulik sorgt für den nötigen Seegang. Die Isolde der Jeanne-Michèle Charbonnet agiert herrisch-kämpferisch, selbstbewusst, ironisch-spöttisch. Tristan hat gegen sie keine Chance, wirkt verunsichert und geht auf Isoldes Racheforderungen sogleich bedingungslos ein. Tristan und Isolde bleiben auch nach dem Liebestrank höfisch distanziert, kommen nur im Gesang zueinander; das Schiff teilt sich mit Tristan und Kurwenal auf der einen, Isolde und Brangäne auf der anderen Seite.

Das Bühnenbild des zweiten Aufzuges erscheint wie eine gebaute Umsetzung der Traumlandschaft von Arnold Böcklins "Toteninsel" (1880/86). Zypressen, eingebettet in eine Felsenlandschaft bilden den Garten. Zu "O sink hernieder Nacht der Liebe" zieht sich die Felsenlandschaft zusammen, wird zu einem kleinen abgeschiedenen Ort – "löse von der Welt mich los". Im Kampf mit Melot zieht sich Tristan aufgrund der psychischen Disposition todessüchtig die tödliche Verletzung mehr selber zu, als dass er von Melot verwundet wird.

Aufzug 3: Ein schäbiges Krankenzimmer im 20. Jahrhundert am Meeresrand, Kurwenal im Outdoorlook, Tristan im lässigen Jogginganzug, Isolde im Kapuzen-Sweatshirt: genauso nüchtern wie das Ambiente endet auch das Stück - nach dem Schlussgesang legt sich Isolde ganz unromantisch zu Tristans Leiche ins Lazarettbett.

Zu den Stärken der Inszenierung gehört eine Feinzeichnung der Binnenbeziehungen der Protagonisten untereinander. Die inneren Regungen, das Inwendige lässt Pasqual als feine Bewegungen nach außen dringen. Jede Geste, jeder Körperkontakt, jeder Blick ist gestaltet. Die Inszenierung ist angelegt als ein intimes Kammerspiel, das nie auf große Ausbrüche aus ist. Die Bühne ist situativ, aus der Handlung heraus bespielt, Massenszenen mit Chor und Statisten wie in Chéreaus Mailänder Inszenierung werden vermieden, sogar Marke und Melot lassen Isolde und Tristan nach dem Aufdecken ihrer Beziehung vorübergehend allein zurück.

Die Gesangsleistungen waren erwartungsgemäß exzeptionell, ein auf so hohem Niveau gecasteter "Tristan" ist eben selten. Robert Dean Smith, ein eher lyrischer Tenor, sang den Tristan klangschön, fast elegant und überzeugend, zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen in der tour de force des dritten Aufzugs. Der hochdramatische Sopran Jeanne-Michèle Charbonnets bewältigt die Isolde energisch, kraftvoll, dunkel, glühend. Mihoko Fujimura ist eine ideale Brangäne mit schönem dunklem Timbre, schauspielerisch immer hellwach und präsent. René Pape ist als Marke über alle Zweifel erhaben, er verkörpert ihn mit voluminös-rundem Bass nobel, souverän, in der Resignation fast schon zu verständnisvoll.

Der Dirigent Jesús López Cobos, während der Jahre 1981 bis 1990 GMD der Deutschen Oper Berlin und seit 2003 Musikdirektor des Teatro Real in Madrid, kann auf eine lange Wagnererfahrung zurückblicken. Zusammen mit dem Titularorchester des Teatro Real, dem Madrider Symphonieorchester, Orquesta Sinfónica de Madrid, meistert er die Herausforderung der Partitur mit grandeza: kräftig und zart, zupackend und zurückgenommen, wenn es an der Zeit ist. López Cobos begleitet die Sänger mit großer Sensibilität. Es wird deutlich, dass das Dirigat eine größtmögliche Textverständlichkeit, die Gleichwertigkeit von Wort und Musik zu erreichen versucht, ohne an musikalischer Spannung und Intensität einzubüßen. Das Madrider Symphonieorchester ist momentan ein sehr junges Orchester, es hat in den letzten Jahren einen starken Verjüngungsprozess durchgemacht, was auch heißt, dass für die große Mehrheit der Musiker der "Tristan" ein unbekanntes Territorium war.

Das Madrider Publikum, konzentriert hörend, wusste den Abend zu schätzen. Leider macht sich auch hier die Unsitte breit, die Musik nicht ausklingen zu lassen. Noch vor dem Ende setzte tosender Beifall ein.

Dirk Ufermann

 










Fotos: Javier del Real